Die Ballonfahrerin des Königs
dabei gewesen.
Wärst du denn auch gerne einmal mitgefahren?»
«Mit so einem Ballon?» Ihre Augen glitten über den Giganten, der sich in seinen Seilen wiegte wie ein mächtiges Tier. «Oh,
es wäre das Wundervollste und Aufregendste, das ich mir vorstellen kann!» Nach einer kurzen Pause fragte |120| sie vorsichtig: «Glaubst du, der Fahrer dieses Ballons würde mich mitnehmen?» Ihre Erregung war fast greifbar.
«Ich würde dich überallhin mitnehmen!», gestand er. Noch nie, so spürte er, war er dem Glück so nahe gewesen.
Eine spöttische Stimme fuhr dazwischen. «Na, dass ich das noch erleben darf! Mein Bruder höchstpersönlich!»
«Mein Bruder Mars», stellte André vor. Mars hatte sich herausgeputzt: Sein Haupt trug das rote Kennzeichen der Republikaner,
die phrygische Mütze, auf seiner Brust prangte die Kokarde, und um seinen rundlichen Oberkörper lief eine blauweißrote Schärpe.
Zu seinem Bruder sagte André: «Wir können jetzt los. Wie steht der Wind?»
Mars deutete auf einen bunten Taftstreifen, der an einer Stange flatterte. «Er hat ein wenig gedreht. Nord, Nordost, würde
ich sagen.»
André nickte zufrieden. «Habt ihr die Flugblätter an Bord gebracht?»
«Natürlich.» Mars hob die Brauen und betrachtete Marie-Provence argwöhnisch. «Und wer ist das? Sollte das etwa der Grund unserer
Verspätung sein?»
Sofort nahm Marie-Provence’ Gesicht wieder den wachsamen, zurückhaltenden Ausdruck an, von dem sie nur selten ließ, und André
antwortete seinem Bruder kurz angebunden: «Das ist meine Begleiterin auf diesem Flug, Bruder.»
«Eine Begleitung? Es war nie die Rede …»
«Ich brauche jemanden, der die Flugblätter wirft, während ich auf den Ballon aufpasse.»
«Warum hast du davon früher nichts gesagt?»
«Warum sollte ich? Die Organisation des Fluges und der Ablauf stehen allein unter meiner Verantwortung.» André wusste, dass
er seinen Bruder reizte. Doch ein Instinkt riet ihm, dessen Groll besser auf sich zu ziehen und von seiner Begleiterin abzulenken.
Er, der den Anfeindungen seines Bruders sonst lieber aus dem Weg ging, war auf einmal entschlossen, Front zu machen.
Die dunklen Augen seines Bruders verengten sich. «Kann ich deine Papiere sehen, citoyenne?», fragte er knapp.
|121| «Was soll das?», fuhr André ihn an.
«Du magst für den Flug verantwortlich sein, aber ich muss vor meinen Auftraggebern dafür geradestehen, dass nur treue Anhänger
der Republik während dieser Veranstaltung öffentlich auftreten!»
André wollte gerade mit einer heftigen Antwort parieren, da antwortete seine Begleiterin kühl: «Das verstehe ich, citoyen»,
und überreichte Mars ihre Dokumente.
Mars studierte den Ausweis mit kränkender Genauigkeit, ehe er ihn zurückgab. «Also gut, meinetwegen», sagte er. Barsch fügte
er hinzu: «Allerdings musst du noch etwas mit dir machen, citoyenne! Ganz Paris wird heute zu euch aufschauen. Dein Kleid
erinnert mich viel zu sehr an eine Nonnentracht. Du wirst die Haube abnehmen und die Haare offen tragen. Vielleicht steckst
du noch ein paar Blumen hinein, dann mag es durchgehen. Nein, warte!» Er griff an seine Taille, löste das blauweißrote Stoffband,
das er sich umgebunden hatte, und streckte es ihr hin: «Leg das um. Und zieh meine Mütze an. Das dürfte reichen, um aus dir
eine ordentliche Patriotin zu machen.»
Marie-Provence zögerte, nahm ihm dann aber Schärpe und Mütze ab. «Ganz wie du es wünschst, citoyen», antwortete sie.
Endlich ließ Mars von ihnen ab und stapfte davon.
«Es tut mir leid», stieß André aus.
Sie blieb reserviert und lächelte unverbindlich.
Er hätte alles gegeben, damit ihre Augen ihn erneut anstrahlten. Voller Groll sagte er: «Mein Bruder schimpft sich Republikaner
und ist dennoch der schlimmste Tyrann auf Erden.»
«Was hat er gegen dich?»
«Seiner Auffassung nach schätze ich das, wonach er sich verzehrt, nicht genug.»
«Wonach verzehrt er sich denn?»
«Nach der Fabrik unseres Vaters», erklärte er, während er verfolgte, wie sie die Nadeln aus ihrer Frisur zog. Die Haare fielen
ihr den Rücken hinunter. Sie waren glatt und schwer |122| und so dunkel wie Ebenholz. André musste zugeben, dass Mars recht hatte. Mit den offenen Haaren, auf denen sie nun die rote
phrygische Mütze platzierte, ihrer schneeweißen Robe und der Schärpe, die ihren Oberkörper umspannte, gab Marie-Provence das
Fleisch gewordene Bild der republikanischen Tugend ab. Er
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