Die Ballonfahrerin des Königs
de Serdaine, capitaine
in der Armee Seiner verstorbenen Majestät Louis XVI.» Die Augen des Mannes verengten sich. Er trat näher, studierte ihr Gesicht.
«Serdaine, eh?»
Er verschwand hinter seinem Tresen und kam mit einem Glas Wasser wieder. «Ich kannte mal einen Serdaine. Hat sich genauso
aufgeplustert wie du, wenn man ihm auf den Fuß getreten war.»
«Du kanntest meinen Vater?» Marie-Provence trank das Wasser in einem Zug aus.
«Schade, dass du ein Mädchen bist. Hättest einen guten Offizier abgegeben. Den geeigneten Tonfall hättest du schon. Und einen
kräftigen Zug, alle Achtung.»
|141| Marie-Provence stellte das Glas lautstark ab. «Citoyen Cortey, es ist keine Zeit zum Scherzen. Ich bin gekommen …»
«Zeit zum Scherzen ist immer. Selbst im Angesicht der Guillotine.» Cortey rückte seine Brille zurecht. Er schmunzelte. «Ich
danke dir für den Besuch, citoyenne. Du wirst verstehen, dass ich deine Identität überprüfen lassen muss, bevor wir unser
Gespräch fortsetzen.»
«Überprüfen? Wie um alles in der Welt willst du das machen? Niemand in der Stadt kennt meinen wahren Namen!»
«Es ist gut, wenn du das glaubst.» Lächelnd griff er hinter sich und entnahm dem Regal einen faustgroßen Sack, den er Marie-Provence
in die Hand drückte. «Ein kleines Abschiedsgeschenk: etwas Zucker, um dir das Warten zu versüßen.» Er schob sie sanft, aber
bestimmt in Richtung Tür und reichte ihr den Schirm. «Wir melden uns.»
Noch ehe Marie-Provence wusste, wie ihr geschah, bimmelte das Türglöckchen, und sie stand wieder in der rue de la Loi.
***
Cédric musterte das runzelige Gesicht der Frau. Sie war ihm aus der Schar seiner Bediensteten bekannt, doch er hatte nie ein
Wort mit ihr gewechselt. Bis auf seinen Leibdiener Gustave beachtete er das Personal kaum. Ihm überließ er alle Entscheidungen,
die den Haushalt betrafen. Cédrics Wissensdurst beschränkte sich auf höhergestellte Mitmenschen. Es lohnte sich nicht, Akten
über Köche oder Zimmermädchen anzulegen; allein Einfluss auf Mitglieder des Staatsapparates zu haben, verhieß Macht.
«Wie heißt du?», fragte er die Dienerin.
Diese wischte sorgfältig die schwieligen Hände an ihrer Schürze ab. «Dorette, citoyen.»
«Gustave sagte mir, du hättest schon unter den Serdaine hier gearbeitet?»
|142| Die Frau warf ihm einen misstrauischen Blick zu. «Ja, das stimmt.»
«Du weißt viel über sie?»
«Ich bin in der Küche und komme kaum nach oben.»
«Man kennt doch die Menschen, für die man arbeitet.»
«Du und ich, wir kennen uns ja auch nicht, citoyen», gab die Alte ruhig zurück.
Cédric zupfte an seinem Kragen. Wenn er nicht gerade vor einem Soldaten stand, für den sich die Rangordnung von selbst verstand,
irritierte ihn Selbstbewusstsein bei einem Untergebenen. Über ihm stehende Menschen unter Druck zu setzen oder zu verfolgen,
machte ihm keine Schwierigkeiten. Leute wie Dorette jedoch ließen ihn an seiner Rolle zweifeln und gemahnten ihn, dass die
Zeiten noch nicht lang zurücklagen, als er selbst den Kopf gesenkt hatte – und sich gewünscht hätte, ebenso viel Rückgrat
zu besitzen wie diese Frau hier. «Aber die Tochter der Serdaines wirst du doch noch kennen. Du hast viele Jahre hier gearbeitet.
Ein Kind geht oft in die Küche, um Süßigkeiten zu stibitzen oder mit dem Personal zu reden.»
«Ja, da war sie keine Ausnahme. Armes Ding. Als es hieß, Marie sei gestorben, krank und ganz allein in der Fremde, habe ich
einen ganzen Tag lang geheult.»
«Da hast du ganz umsonst getrauert. Die Tochter der Serdaines ist nicht tot. Ich glaube, dass ihre Eltern sie versteckt haben,
bei einem Freund oder bei Familienmitgliedern. Ich bin die Papiere und die Korrespondenz der Serdaines durchgegangen, die
ich hier vorgefunden habe. Alle Menschen, mit denen die Familie engeren Kontakt hatte, waren bereits von den Behörden überprüft
worden, als der Prozess gegen Angèle de Serdaine lief, und scheiden aus. Doch dann kam ich auf die Idee, mir den Stammbaum
der Familie anzusehen.» Er rollte ein Dokument aus.
«Ah, das kenne ich», nickte Dorette. «Schön, nicht? Madame de Serdaine hat es eigenhändig geschrieben. Schau, wie prächtig
und regelmäßig sie die Buchstaben zwischen die Zweige gesetzt hat!»
|143| «Mir geht es um dieses Paar, hier. Constantin und Bérénice d’Urlard. Bérénice d’Urlard ist die ältere Schwester von Angèle
de Serdaine.» Cédric machte eine
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