Die Ballonfahrerin des Königs
Serdaine war.
«Nein!»
Der Schrei, der aus dem Restaurant
Robespierre, Licht der Nation
drang, riss Marie-Provence aus ihren Grübeleien.
«Leg das hin! Leg das sofort wieder hin!»
Das Wasser unter ihren Füßen spritzte auf, als Marie-Provence zum Haupteingang der Kirche rannte.
Nur ein paar der Bänke waren im Mittelschiff belassen und um sechs Tische gruppiert worden. An diesen saßen eine Handvoll
Gäste vor ihren Tellern. Die Düfte, die unter dem Kreuzgewölbe waberten, waren verlockend, doch die Anwesenden wirkten verstört.
Sie blickten teils neugierig, teils verunsichert auf den Vorhang, der Querhaus und Chorhaupt vom Speiseraum trennte. Hinter
ihm befanden sich Küche und Vorratsräume, und aus dieser Richtung schallte der heftige Streit, der den Versammelten den Appetit
raubte.
«Leg den Schürhaken hin!»
Ein gellender Schrei und ein gewaltiges Scheppern waren die Antwort. Marie-Provence riss den Vorhang auf.
Ein Bild der Verwüstung empfing sie. Zerbrochene Geschirrteile |148| übersäten die Steinfliesen. Ein Kupferkessel schlingerte wild an seinem Haken über der Asche, ein Regalbrett hing nur noch
schief an der Wand. Die Tonkrüge, die auf ihm aufbewahrt wurden, bildeten einen braunen Scherbenhaufen auf dem Boden. Und
inmitten von all dem stand Georges, einen Schürhaken in der Rechten.
«Rosanne!», rief Marie-Provence. Erst jetzt entdeckte sie die junge Frau, die sich hinter eine Anrichte duckte.
«Marie-Provence! Gott sei Dank, dass du da bist!»
«Wirf sofort diesen Schürhaken weg!», schrie Marie-Provence den Mann an.
Georges drehte ihr seine mächtige Statur zu. «Was mischst du dich hier ein? Wer bist du überhaupt?»
«Eine Freundin deiner Frau! Du hast ihr schon genug Schmerzen zugefügt! Leg das weg!»
«Ich lass mir von niemandem sagen …» Er unterbrach sich. Rosanne hatte ihre Chance genutzt, um ihre Deckung aufzugeben. Sie versuchte, an ihrem Mann vorbeizurennen,
um zu Marie-Provence zu gelangen. Der drehte sich jedoch blitzschnell um. Ob mit Absicht oder zufällig – der Schürhaken traf
Rosanne mit einem dumpfen Geräusch in den Magen. Marie-Provence schrie auf. Rosanne gab einen erstickten Laut von sich, sank
auf die Knie und klappte zusammen.
«Hilfe! So helft uns doch!», schrie Marie-Provence. «Schützt uns vor diesem Mann!»
Drei der Gäste kamen angerannt. Sie zerrten an den Servietten, die sie um den Hals trugen, und sahen sich unentschlossen an.
Marie-Provence, die zu Rosanne gelaufen war, schrie Georges an: «Raus hier! Auf der Stelle! Geh, und komm ja nie wieder!»
Georges, vom Lauf der Ereignisse überfordert, klappte den Mund auf und zu und betrachtete seine Hände, die noch immer den
Eisenstab gepackt hielten. Unsicherheit ersetzte die Wut, die gerade eben noch seine Züge verzerrt hatte. Die am Boden kauernde
Rosanne stieß zischende Atemgeräusche aus, während sie die Arme fest um den Leib presste.
|149| «Citoyens!», rief Marie-Provence den drei unentschlossenen Männern zu. «Ihr seid unsere Zeugen!» Sie streckte einen anklagenden
Zeigefinger aus. «Dieser Mann hier hat versucht, seine Frau umzubringen!»
Georges wurde kreidebleich. «Aber …»
Marie-Provence trat hart auf ihn zu. «Sieh zu, dass du verschwindest, citoyen! Wenn du noch einmal hier auftauchst oder wenn
ich von Rosanne erfahre, dass du sie auch nur angesehen hast, schwöre ich, dass ich, Marie-Provence Duchesne, Assistentin
von docteur Jomart, Arzt in der maison de la couche von Paris, vor Gericht Anklage gegen dich erheben werde! Und diese Männer
hier, diese ehrbaren Bürger, werden alle ebenfalls gegen dich aussagen!»
Georges ließ das Schüreisen fallen. Schweißtropfen hingen an seinem Kinn. «Rosanne!», sagte er flehentlich. «Rosanne!»
Rosanne hob langsam den Kopf. Ihre Haut wirkte wächsern, ihre Augen glühten. «Verschwinde!», zischte sie. «Verschwinde aus
meinem Leben!»
Georges stolperte rückwärts aus dem Restaurant, das einmal sein Lebenstraum gewesen war. Mit einem erstickten Laut drehte
er sich um und hastete davon.
Marie-Provence legte eine Hand auf Rosannes feuchte Stirn. «Auf was wartet ihr? Holt sofort einen Arzt!», schrie sie die Gäste
an.
***
«Was hältst du von diesem hier?»
Marie-Provence sah auf das Muster, das André ihr hinhielt, und nickte. «Sehr hübsch.»
André klappte das Buch wieder zusammen. «Wir haben jetzt mindestens zehn verschiedene Papiere gesehen. Und zu jedem hast du
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