Die Ballonfahrerin des Königs
geglaubt, an ihre Kraft, an die |159| Macht ihres Willens. Er war es gewesen, der sie mit fünf ermutigt hatte, ihr Pferd zum Galopp anzuspornen, er war jeden Morgen
mit ihr auf die Insel Louviers gefahren, als sie Unterricht im Gebrauch von Waffen hatte haben wollen, und er hatte ihr das
Selbstwertgefühl zurückgegeben, als sie sich im Alter von elf Jahren drei Tage lang in ihr Zimmer eingeschlossen hatte aus
Verzweiflung darüber, dass sie als Mädchen nie Soldat werden konnte. Sie verbarg ihre Bewegtheit, indem sie Geschäftigkeit
vortäuschte, legte Brot sowie ein Stück Speck auf den Tisch und füllte einen Tonkrug mit Wasser.
«Ich habe maman gesehen», entfuhr es ihr plötzlich. Ihr Vater wandte brüsk den Kopf, und sie erklärte: «Als sie in den Karren
stieg.» Der Tonkrug, aus dem sie ihrem Vater Wasser einschenken wollte, schlug scheppernd gegen den Becher. «Croutignac hat
sie auf dem Gewissen. Sie hatte große Angst vor diesem Mann. Aber den Jungen wird er mir nicht nehmen. Nicht den kleinen Charles.
Das werde ich verhindern!»
Guy de Serdaine schlüpfte in sein Hemd. Es verbreitete einen würzigen Geruch nach Lagerfeuern und Bohnensuppe. Er nahm am
Tisch Platz, und sie setzte sich ihm gegenüber.
«Erzähl», sagte er.
Also berichtete sie von den Umständen ihrer Einstellung im Heim, von Croutignacs Erscheinen dort und ihrer List, die sie bis
vor das Gefängnis des Kindes gebracht hatte. Sie sprach vom Leben auf dem Schloss, von den Spannungen zwischen den Bewohnern,
von Jomart und Madame Mousnier. Erst als sie geendet hatte, fiel ihr auf, dass sie nicht ein Wort über André verloren hatte,
über ihren Flug über die Stadt, das Fest und die neuen, unbekannten Gefühle, die er in ihr hervorrief. Sie merkte, wie empfindlich
sie in dieser Angelegenheit war, und verspürte den unbegreiflichen Drang, André und ihre Zuneigung zu ihm vor ihrem Vater
zu schützen.
Guy de Serdaine hatte geduldig zugehört und nur ab und zu eine Frage gestellt, während er sein karges Mahl zu sich |160| nahm. Als Marie-Provence aufstand und sich daranmachte, die Küche aufzuräumen, sagte er: «Ich kann dich gut verstehen, weißt
du. Auch ich habe gekämpft, auch ich habe alles versucht.» Er stützte die Ellenbogen auf dem Tisch ab, und sein Blick verlor
sich in der Glut des Kamins.
«Die Königin?», fragte Marie-Provence.
Ihr Vater hob eine Braue. «Du weißt davon? Wir waren so nah dran, damals, Marie-Antoinette zu retten. So unglaublich nah dran!»
Sie stellte einen Wasserkrug auf den Tisch und nahm wieder Platz. «Was ist schiefgegangen?»
«Mutterliebe. Die Umstände.» Er zuckte mit den Schultern. «Es war die Zeit nach der Enthauptung des Königs. Marie-Antoinette
und ihr Sohn waren noch nicht getrennt worden. Ich wollte es lange nicht wahrhaben, doch … Spätestens seit der Exekution des Königs war uns allen klar, in welcher Gefahr die königliche Familie schwebte.»
«Wer hat dir geholfen?»
«Wir waren eine Handvoll Verschwörer. Jeder hätte sein Leben für die Königsfamilie gegeben. Toulan der Republikaner, der chevalier
de Jarjayes – ein Offizier und Freund von mir, dessen Frau eine der Hofdamen der Königin war –, der Baron de Batz, Ricard, Assmendi … Unser Treffpunkt war der Krämerladen von Cortey in der rue de la Loi. Cortey war angesehen für seinen Bürgersinn und zum
Kommandanten der Nationalgarde seines Viertels ernannt worden. Außerdem stand er in enger Verbindung zu einem Richter des
revolutionären Tribunals, der Einfluss bei der commune hatte. Cortey war über jeden Zweifel erhaben. Er wurde sogar zu einem
der Befehlshaber der Posten, die den Temple bewachen.»
Marie-Provence beugte sich gespannt vor. «Wie war euer Plan? Wie wolltet ihr in den Temple eindringen und die Gefangenen befreien?»
«Nun, die Königin herauszuschmuggeln, wäre nicht besonders schwierig gewesen. Sie sollte sich als Mann verkleiden, mit einer
Uniform, die zuvor eingeschleust worden war, |161| und dank eines falschen Ausweises auf die Straße gelangen. Das eigentliche Problem war der kleine Louis-Charles. Die meisten
Mächte Europas hatten ihn nach dem Tod seines Vaters als König anerkannt, und auf einmal waren alle Augen auf ihn gerichtet.
Zwar war es nicht schwer, zum Kind durchzudringen, es lebte ja damals noch mit seiner Mutter im Gefängnis zusammen. Doch es
war zu groß, um es in irgendetwas zu verstecken, und zu klein, um als Erwachsener
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