Die Ballonfahrerin des Königs
getaucht wurde.
Die zwei Eingangstüren, in Grau und Gold gehalten, rahmten auf der Stirnseite des Saales einen riesigen Spiegel. Über diesem
schwebte in großer Höhe die kleine Empore, in die der abbé d’If nun mit seiner Geige stieg. Marie-Provence hatte dem abbé
letztes Jahr das Instrument mitgebracht, denn er hatte erwähnt, dass er einst hatte Musiker werden wollen und nur auf Druck
seiner Eltern das Priesteramt erwählt habe. Seitdem spielte er ihnen jede Woche etwas vor und zauberte ganze Bach-Suiten aus
seiner Erinnerung herbei.
Als das Konzert beendet war, erklangen wie immer Tanzlieder. Die Auswahl an Tanzpartnern war nicht groß, und Marie-Provence
hatte jedem schon einmal die Hand gereicht – auch Madame de Vezon und ihrer Tante. Es war eine Herausforderung, die männliche
Rolle zu übernehmen in der komplizierten Schrittfolge einer Allemande, einer Gigue oder Sarabande, und bot eine willkommene
Abwechslung.
Nach drei Tänzen machte Marie-Provence eine Pause und klappte ihren Fächer auf. Sie ließ ihren Blick über die Blumenkränze
und Amphoren gleiten, mit denen ein begnadeter Maler den Raum dekoriert hatte, zu einer Zeit, in der es noch keine Tapeten
gegeben hatte. Sofort musste sie an André denken, daran, dass sie jetzt mit ihm im Théâtre de l’Égalité sitzen könnte. Unvermutet
verspürte sie Sehnsucht.
«Ihr Gesichtsausdruck ist dem Wetter durchaus angepasst, liebe Nichte.» Tante Bérénice war an sie herangetreten und betrachtete
sie prüfend. «Sie sind so still in den letzten Tagen. Ist es Rosannes Schicksal, das Sie bedrückt?»
«Sie wird sich erholen. Es ist ihre Seele, die am meisten Schaden genommen hat.»
|153| «Nun, wenigstens ist sie jetzt diesen brutalen Mann los», sagte tante Bérénice, während ihre Finger unablässig über die Glieder
ihrer Goldkette liefen, eines der wenigen wertvollen Schmuckstücke, die noch in ihrem Besitz waren.
«Ja, das hoffe ich. Ich habe versucht, ihm tüchtig Angst einzujagen, und gedroht, ihn anzuzeigen.»
Tante Bérénice sah besorgt aus. «Hoffentlich lässt er seine Wut jetzt nicht an Ihnen aus.»
Marie-Provence verdrängte den Gedanken. «Wenn er klug ist, und ich weiß, dass er das ist, wird ihm der Vorfall zu denken geben.
Ich hoffe, er beginnt irgendwo weit weg von seiner Frau ein neues Leben.»
Tante Bérénice schien nur mäßig besänftigt. Sie zog die Schultern hoch wie jemand, der fror. «Marie-Provence», sagte sie leise,
«wann werden wir hier eigentlich wieder rauskönnen?»
Marie-Provence schluckte. «Oncle Constantin?»
«Es geht ihm wieder schlechter. Er nimmt sich zusammen, aber …» Bérénice verstummte und schüttelte den Kopf. Als sie sich wieder gefasst hatte, fuhr sie fort: «Ich glaube, er hat Angst,
dass er nie mehr als freier Mann eine Straße überqueren wird, wenn wir hier noch allzu lange ausharren.»
«Er wird sich doch nicht zu einer Unvorsichtigkeit hinreißen lassen?», fragte Marie-Provence alarmiert.
«Nein, ganz bestimmt nicht. Es ist ihm bewusst, was das für ein Risiko darstellen würde. Aber er braucht Hoffnung – irgendetwas,
auf das er sich freuen kann.»
Marie-Provence beobachtete ihren Onkel, der sich nach einem Tanz von Madame de Vezon verabschiedete. Er sah müde aus. Müde
und traurig. Mit hängenden Schultern verließ er den Festsaal.
Marie-Provence strich ihrer Tante liebevoll über den Rücken. Sie hätte sie gerne aufmuntern wollen – doch es fiel ihr schwer.
Wenn Marie-Provence während der gemeinsamen Essen schwieg, so tat sie das nicht ohne Grund.
Wohl keiner der Feiernden vor den Tuileries hätte gedacht, dass Robespierre nach seinem Triumph dermaßen |154| hart durchgreifen würde. Ganz Paris zitterte vor dem ‹Unbestechlichen›. Die Convention wurde gebeutelt, Schauspieler und Journalisten
verhaftet, das Gesetz umgebildet. Die Gerichtsverhandlungen waren extrem vereinfacht worden, weder Zeugen noch Verteidiger
wurden mehr zugelassen. Die Gründe für eine Verhaftung waren empörend bis lächerlich. Für Fouquier-Tinville, den öffentlichen
Ankläger, reichte ein Kreuz über dem Bett aus, um einen Mann als religiösen Fanatiker enthaupten zu lassen. Die Leiterwagen,
gefüllt mit Gefangenen, waren allgegenwärtig und so zahlreich, dass man die Guillotine von der place de la Révolution auf
die place du Trône Renversé versetzt hatte, um die Bewohner zu entlasten. Der berüchtigte rote, mit Blei verblendete Wagen,
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