Die Ballonfahrerin des Königs
beruhigten.
Marie-Provence hatte sich einen Hocker vor das Fenster gezogen. André trat näher und verharrte. Ein winziges Gesicht lugte
aus einem Bündel in ihrem Arm. Dunkle, aufmerksame Knopfaugen unter dichten Brauen verfolgten jede Regung auf dem Frauengesicht.
Marie-Provence lächelte. Das Kind bewegte die Lippen und stieß gurgelnde Geräusche aus.
André überfiel ein heftiges Gefühl der Sehnsucht. Er kam sich ausgeschlossen vor, gleichzeitig verspürte er einen Drang, auf
beide zuzustürzen, sie in die Arme zu schließen und nie mehr loszulassen. Ich will sie haben!, rief er innerlich. Ich will
genau das haben! Marie-Provence. Ein Kind. Ein Heim. Bilder des Glücks und der Geborgenheit. Wenn sie es nur zuließe!
Er dachte an Zéphyr, auf dessen Hülle er gestern besorgniserregende Alterungsspuren entdeckt hatte. Er hatte den Ballon immer
sorgfältig gepflegt, und dieser hatte ihm gut gedient. Dennoch wurde es langsam Zeit, an Ersatz zu denken. Was bedeutete,
dass er seinen Vater um mehrere Monatsgehälter im Voraus bitten müsste – und sich die Häme seines Bruders einhandeln würde.
Marie-Provence und das Fliegen: die zwei Leidenschaften seines Lebens. Wann endlich würde er sie ohne Einschränkungen ausleben
dürfen?
«André?» Marie-Provence sah zu ihm auf. «Entschuldige, ich habe dich nicht bemerkt.» Sie hob das Bündel. «Darf ich vorstellen:
André, das ist César! César, das ist André, ein lieber Freund von mir.»
|167| «Er steht dir», sagte André, und unter ihrem fragenden Blick fügte er hinzu: «Du bist die geborene Mutter. Du hast Modell
gestanden für die Madonnen in den Kirchen, gib es zu.»
«Du meinst die, denen sie alle die Köpfe abgeschlagen haben?» Schnell stand sie auf. «César kommt morgen aufs Land. Théroigne
nimmt ihn mit in die Bretagne. Ich wollte mich nur von ihm verabschieden.»
«Die Mousnier sucht nach dir», sagte er.
«Ja, ich weiß. Und neben ihr stehen Frauen, die Gott abgeschworen haben und jetzt hoffen, in mir so eine Art Ersatz zu finden!
Wenn sie unbedingt Heilige brauchen, weshalb haben sie dann die alten verstoßen?» Sie schüttelte den Kopf, worauf der kleine
César anfing zu weinen. Sofort entspannten sich ihre Züge. Sie nahm das Kind hoch und wiegte es mit einem Ausdruck der Zärtlichkeit,
der André schlucken ließ. «Pscht, nicht weinen, mein Süßer. Ruhig. Ganz ruhig, petit trésor.»
André näherte sich den beiden. Nahm den Geruch nach Geißblatt, frischer Wäsche und Puder auf, den sie zusammen verströmten.
César verstummte.
«Er mag dich», stellte Marie-Provence fest.
«Nein, er betrachtet mich wie ein Kuriosum», schmunzelte André. «Schließlich bekommt er hier nicht oft ein männliches Wesen
zu sehen.»
«Ich wusste gar nicht, dass du Kinder magst.»
«Doch», antwortete er ernst. «Ich will mindestens zwei Dutzend davon. Mit dunklen Haaren und den Augen von Meerjungfrauen.»
Sie senkte den Blick und wiegte César, der kleine Laute von sich gab. «Ich möchte keine Kinder. Weißt du, wie viele unglückliche,
verlassene Kinder es gibt in diesem Land? Sieh dich um, das hier ist nur ein Bruchteil davon!» Auf einmal sprühten ihre Augen
vor Zorn. «Kinder haben keinen Wert in dieser Republik. Sie werden misshandelt und eingesperrt, sie verhungern vor aller Augen!»
César schrie auf, und Marie-Provence blinzelte. «Der |168| Kleine hat Hunger. Er muss zu seiner Amme», sagte sie und ließ André stehen.
Er sah ihr nach, dann wandte er sich mit gekreuzten Armen zum Fenster, starrte in den öden Innenhof hinaus, ohne ihn wahrzunehmen.
Marie-Provence’ Verhalten brachte ihn abwechselnd in Rage und zur Verzweiflung. Er hatte sich immer für souverän gehalten,
für einen Mann des Verstandes. Er genoss es, über eine verbesserte Herstellungsweise von Wasserstoff zu grübeln und Pläne
über die Lenkbarkeit eines Fesselballons zu machen. Er konnte Stunden in seinem Labor verbringen, um chemische Reaktionen
zu studieren. Nichts hatte ihn auf diesen Sturm der Gefühle vorbereitet, den Marie-Provence in ihm auslöste. Er verpasste
der Mauer neben sich einen Schlag. Verdammt! Er wollte nicht darüber nachdenken! Nicht darüber, ob er sie vielleicht schon
verloren hatte – oder ob er für sie jemals irgendeine Bedeutung gehabt hatte. Er hatte keine Ahnung, wie er mit diesen Gefühlen
umgehen sollte.
«André?»
Sie war zurückgekehrt. Ihre Stimme in seinem Rücken klang
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