Die Ballonfahrerin des Königs
fünf Türen abgingen. Keller, allesamt. Im ersten
von ihnen hing eine nackte Seilwinde an der Decke, unter der sich eine mächtige Falltür befand. André schwenkte seine Fackel
und beschloss, nicht weiter zu untersuchen, was sie verdeckte. Früher mochten diese Keller vielleicht mit Weinfässern und
Vorräten gefüllt gewesen sein, heute fand sich hier jedoch nichts als Mäuseköttel. Er kehrte zu der Treppe zurück und folgte
ihr weiter nach oben. Als sie schließlich auf einem Absatz an einer Tür endete, öffnete er diese vorsichtig.
Er betrat eine Küche. Staunend löschte er die Fackel und sah sich um. Größe und Ausstattung ließen auf ein stattliches Haus
schließen, genau wie die große Anzahl der Keller vorhin. Wo um alles in der Welt war er gelandet? Und wo war Marie-Provence?
Seine schlammigen Schuhe knirschten auf den abgetretenen Terrakottafliesen, als er durch den Raum schlich. Ein paar Vorräte.
Kurz entschlossen griff er nach einer Scheibe Brot und biss beherzt hinein, während er sich weiter umschaute. Der Kamin war
gekehrt, keine Glut lag darin. Kalte Suppe hing in der Esse. Ein derber Tisch, sonst aber kaum Einrichtungsgegenstände. Auf
der gegenüberliegenden Seite der Küche ging ein sehr breiter und heller Flur ab. Durch eine offene Tür an dessen Ende entdeckte
er einen weiteren Kamin. In dem hätte man allerdings eine ganze Rinderherde auf einmal brutzeln können! Er stutzte. Noch eine
Küche? Gab es hier denn keine Zimmer?
Hohe Flügeltüren zu seiner Linken sowie mehrere Fenster ließen Licht in den Flur. Er spähte kauend nach draußen – und runzelte
die Stirn. Ein großes, nacktes Areal bedeckt mit Kies, eine hohe lange Wand aus hellen Steinquadern … Er |174| sah nach oben, erblickte eine Brüstung und erkannte, dass er sich auf der Höhe eines künstlichen Grabens befinden musste.
Der Gang hatte ihn in ein Schloss geführt. Fieberhaft überlegte er: ein Schloss westlich von Sartrouville? Das einzige, das
ihm einfiel … Er sah sich ungläubig um.
Er musste nach oben!
Im Erdgeschoss angelangt, drehte er sich in der quadratischen Eingangshalle auf den schwarzweißen Bodenfliesen, sprachlos,
überwältigt. Schneeweißer Stuck, wohin man auch schaute. Kunstvoll gemalte Szenen, die die vier Elemente darstellten. Adler,
die ihn aus den vier Ecken beäugten und ihn in seiner Vermutung bestätigten: Die Raubvögel betrachteten André mit ihrem «long
œil», ihrem scharfen Blick, und erinnerten damit an René de Longueil, der vor anderthalb Jahrhunderten das Schloss von Maisons
bei dem Architekten Mansart in Auftrag gegeben hatte. Jetzt wusste André, wo er war.
Sein Blick glitt über sich verjüngende dorische Säulen. Fein geriffelt und mit delikaten Blütenranken verziert, waren sie
ein Wunder an Anmut und Raffinesse. Sie schossen seitlich von zwei ziselierten Gittern hoch. Diese zierten die sich gegenüberliegenden
Flügeltüren, die sich zu seiner Rechten auf den riesigen, bis zur Seine abfallenden Park hin öffneten, zu seiner Linken auf
eine Abfolge von Terrassen und Höfen.
André hatte in den vergangenen Jahren viele herrschaftliche Häuser von innen gesehen. Architektur war nicht seine Leidenschaft,
dennoch hatte die Tätigkeit im Geschäft seines Vaters ihm einen Sinn für Proportionen, Eleganz und Leichtigkeit verliehen.
Und dieses war eindeutig das Schönste, was er jemals gesehen hatte. Es war so vollkommen, dass er sich von dem Anblick regelrecht
losreißen musste.
Nun stand er vor der Wahl − rechts oder links?
Rechts befand sich der Zugang zum ersten Stockwerk. Eine schneeweiße, schwebende Treppe schraubte sich nach oben zu einer
Gruppe balgender Putti hinauf. André stopfte sich das letzte Stück Brot in den Mund und entschied sich für links. Drei Räume
und ein schmaler Gang, allesamt kahl. |175| Die einzigen Einrichtungsgegenstände waren ein paar Bücher und alte Zeitungen, die in einer Ecke lehnenden Queues eines Billardspieles,
ein angeschlagener Geigenkasten, einige Kissen, Decken und Sitzgelegenheiten, die eher provisorisch als bequem anmuteten.
Je weiter André vordrang, desto weniger konnte er sich einen Reim auf das Ganze machen.
Er betrat den letzten Raum des linken Flügels. Eine Kapelle, war sein erster Gedanke, als er durch die Tür trat und den kleinen
Altar sah.
Dann sah er zu Boden und erblickte den Leichnam.
André näherte sich zögernd. Kein Zweifel, der Mann, der da auf einer
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