Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Ballonfahrerin des Königs

Titel: Die Ballonfahrerin des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Douglas
Vom Netzwerk:
Tür aufgebahrt lag, war tot. Jemand hatte seine Hände
     über seiner Brust gefaltet und ihn sorgfältig zurechtgemacht. Er war bekleidet mit einer Perücke, Seidenstrümpfen und hochhackigen
     Schnallenschuhen, einer Mode, die heute kein Mensch mehr trug – oder aber Menschen, die das Glück hatten, so alt zu werden
     wie dieser Mann hier, und sich um nichts auf der Welt mehr zu scheren brauchten. Der Ausdruck des wächsernen Gesichts war
     friedlich. Warum lag er hier, alleine, in diesem kahlen Raum?
    Erst jetzt bemerkte André die Spielkarten. Kleine Patiencekarten mit blauen und roten Rücken, die verdeckt um die Tür herum
     lagen. Nein, nicht herumlagen, berichtigte André sich, sie waren angeordnet. Blau. Rot. Blau. Jede lag penibel eingereiht
     im exakt selben Abstand zur Nachbarin. Ein Trauerkranz aus Karten, dachte André fasziniert und hob eine der kleinen Papptafeln
     auf.
    «Legen Sie das sofort wieder hin!», gellte eine Frauenstimme.
    Andrés Herz machte einen Satz. Langsam drehte er sich um.
    «Sie sollen das sofort hinlegen, habe ich gesagt!» Eine alte Frau trippelte aufgeregt in die Kapelle.
    «Hände hoch!»
    Die Karte flatterte zu Boden, als André gehorchte.
    André erkannte den Mann sofort, der in einigen Schritten Entfernung eine Pistole auf ihn hielt. Er hatte seinen alten |176| Hut inzwischen gegen eine schneeweiße Perücke und eine schwarze Jacke mit Silberborten getauscht, und er war älter, als André
     es von weitem hatte feststellen können; die Kraft und Autorität, die der Mann ausstrahlte, widersprachen den feinen Linien,
     die über sein gebräuntes Gesicht liefen.
    Mit einem kalten Lächeln blickte der Mann auf die hellen Bodenfliesen. «Mes chers amis», sagte er, «ich glaube, wir haben
     den Mann gefunden, der sich so gründlich in der Eingangshalle umgesehen hat.»
    André starrte auf den Boden. Eine Reihe schlammiger Fußspuren führte direkt bis zu seinen Sohlen. Er biss die Zähne aufeinander.
     Spionieren gehörte eindeutig nicht zu seinen Talenten. Noch mehr Menschen drängten sich in den Raum. André wurde unruhig.
     Himmel, wo kamen die plötzlich alle her?
    «André? André, um Gottes willen, was machst du denn hier?»
    Marie-Provence drängte sich an dem Mann mit der Pistole vorbei – was keine geringe Leistung war in dem Kleid, das sie trug.
    «Bonjour, Marie-Provence», sagte er – weniger, um sie zu begrüßen, als um sich zu vergewissern, dass es tatsächlich sie war,
     die ihm da gegenüberstand. Ungläubig glitten seine Augen über ihren Aufzug.
    Sie, die er nur in dem einen selben, einfachen Kleid kannte, trug eine Kostbarkeit aus dunkelgrauer Seide und hellgrünem Brokat,
     deren Hüftpartien so stark ausgestopft waren, dass man bequem einen Teller darauf hätte abstellen können. Um ihre Schultern
     lag eine hauchdünne Stola aus schwarzer Spitze, ihr Dekolleté gewährte Einblicke, die er sich in seinen kühnsten Träumen noch
     nicht ausgemalt hatte. Und ihr Gesicht   … Weißgepuderte Haut, geschminkte Lippen und ein Schönheitspflästerchen exakt am Übergang zwischen Wange und Schläfe hatten
     es in ein Antlitz aus Porzellan verwandelt, das vollkommen und herzzerreißend schön unter der weichen Wolke einer Perücke
     ruhte.
    «Du kennst diesen Mann?» Die Pistole schwankte keinen |177| Augenblick, während Andrés hochgestreckte Arme längst schmerzten.
    «Ja», nickte Marie-Provence. «Er ist ein Tapetenhändler. Er heißt André Levallois. Jomart hat ihn engagiert. Ich   … Wir waren einmal bei einem Fest zusammen.»
    «Warum hast du mir nichts von ihm erzählt?», fragte der Mann mit der Pistole barsch.
    «Weil es mir nicht so wichtig erschien. Wir haben uns schließlich lange nicht gesehen. Es gibt einiges, das ich dir noch nicht
     erzählt habe.»
    «Nun, mon cher chevalier», mischte sich ein Herr mittleren Alters ein, «Tatsache ist, dass Monsieur Levallois hier ist und
     dass wir ein Problem haben.» Er zeigte kurz seine spitzen Zähne. Auch er trug altmodische Kleider, wie alle diese Menschen,
     die André anstarrten.
    Hätte André nicht die Arme hochhalten müssen, wäre er versucht gewesen, sich die Augen zu reiben. Langsam fragte er sich,
     ob er noch bei Verstand war oder ob die Durchquerung des Tunnels ihn wie durch einen Zauber zehn Jahre in der Zeit zurückversetzt
     hatte.
    «Es gibt nur eine Lösung, das ist Ihnen ja wohl allen klar», plusterte sich ein korpulenter Mann in golddurchwirkter Weste
     auf.
    «Was meinen Sie

Weitere Kostenlose Bücher