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Die Ballonfahrerin des Königs

Titel: Die Ballonfahrerin des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Douglas
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Begleiter gerade vergnügt, während er hier mit knurrendem
     Magen im Regen stand. Erneut stieg Zorn in ihm auf, auch Zorn |171| auf sich selber, weil er sich wegen Marie-Provence zum Idioten machte.
    Da quietschte es leise unter seinen Sohlen. Er sah zu Boden − Kohlköpfe und Erbsen. Er war dabei, ein Gemüsebeet zu zertrampeln,
     das jemand zwischen den Gräbern angelegt hatte. Er erwog gerade, eine Möhre als Mittagessen aus der Erde zu ziehen, als sich
     plötzlich eine Seitentür der Kirche auftat. Marie-Provence, der Mann und eine fremde Frau mit hellbraunen, lockigen Haaren
     traten heraus. Zu Andrés Überraschung schlugen sie einen Weg zur Rückseite des Gebäudes ein, nachdem sie sich aufmerksam umgesehen
     hatten. Ohne zu zögern, folgte er ihnen vorsichtig.
    Je weiter sie vordrangen, desto unübersichtlicher wurde der Bewuchs. Hier hatte lange kein Gärtner mehr eingegriffen. Dornensträucher,
     immergrüne Büsche und Unkraut waren zu einem kaum durchdringbaren Dickicht verwachsen. Nichtsdestotrotz schienen die drei
     Menschen vor André genau zu wissen, wohin sie gingen. Sie sagten keinen Ton, bogen aber in stummer Übereinkunft tropfnasse
     Zweige beiseite, um zwischen ihnen hindurchzuschlüpfen. André tat es ihnen mit einigem Abstand nach. Bald schon waren seine
     Schuhe, seine Hose und die Ärmel seiner Jacke durchnässt. Sein Zorn war inzwischen reger Neugier gewichen. Was um alles in
     der Welt wollten die drei hier? Er erhaschte einen kurzen Blick auf Marie-Provence’ Gesicht − ihre Augen waren gerötet, als
     hätte sie geweint.
    Plötzlich tauchte eine kleine Kapelle in dem Urwald auf. Die zweite Frau war stehen geblieben, bückte sich und schob ein paar
     blühende Ranken weg. Der Mann mit der gebrochenen Krempe griff nach unten und zog – Andrés Augen weiteten sich, als sich vor
     den drei Menschen plötzlich eine Falltür auftat. Die beiden Frauen fassten sich kurz an den Händen, lächelten sich an. Dann
     stieg Marie-Provence in das Loch und entschwand seinen Blicken. Der Mann richtete sich noch einmal auf. Der Blick, mit dem
     er sich umsah und jeden Busch, jeden Halm einer genauen Untersuchung unterwarf, war so scharf, dass André sich beherrschen
     musste, |172| sich nicht zu ducken; jede noch so kleine Bewegung hätte ihn vermutlich verraten. Dann stieg auch der Mann hinab. Zurück blieb
     die Frau mit den lockigen Haaren, die die Falltür wieder sorgfältig mit den Ranken bedeckte und schließlich zur Kirche zurückging.
    André blieb ein paar Minuten im nassen Unkraut hocken. Sein Drang, mehr über Marie-Provence zu erfahren, seine neu aufkeimende
     Eifersucht und sein altes, vernünftiges Ich stritten erbittert miteinander. Bis der Regen erneut zunahm und ein Rhododendronblatt
     ihm einen Schwall kalten Wassers in den Nacken goss. Er war auf dem besten Wege, sich hier im Dauerregen zu erkälten. Es entsprach,
     versicherte er sich, nur dem gesunden Menschenverstand, einen Unterschlupf aufzusuchen. Vorsichtig verließ er sein Versteck.
     Er sah um sich, doch alles war ruhig.
    Als er vor der Falltür niederkniete und die betörenden Ausdünstungen der blühenden Geißblattranken einatmete, hielt er inne.
     Nun wusste er, woher der Duft stammte, der immer von Marie-Provence ausging. Sie musste täglich hier vorbeikommen.
    Er fegte die Ranken beiseite und packte den rostigen Eisenring.
     
    Wie lange lief er wohl schon? Zehn Minuten? Eine Viertelstunde? André hätte es unmöglich sagen können. Das Einzige, was er
     ahnte, war, dass er ziemlich genau in Richtung Westen ging. Er hatte ein Gespür für Himmelsrichtungen, das ihm beim Ballonfahren
     öfters den Blick auf den Kompass ersparte.
    Für Westen sprach außerdem, dass der Gang zunehmend feuchter wurde. An mehreren Stellen hatte er Pfützen ausweichen müssen.
     Der Geruch, den das Wasser verströmte, war für einen Pariser unverkennbar: Es war eindeutig die Seine, die die Ohrwürmer,
     Spinnen und Asseln, die an Wänden und Decke über seinem Kopf wuselten, aus ihren Schlupfwinkeln zwischen den Steinen getrieben
     hatte. Er versuchte, die Kriechtiere zu ignorieren, doch das fiel ihm schwer.
    |173| Ein plötzliches Hindernis ließ ihn stolpern. Als er die Fackel hob, merkte er, dass er sich am Fuß einer Treppe befand, die
     steil nach oben führte. Endlich! Zufrieden, dem Schlamm zu entkommen, machte er sich leichten Fußes an den Aufstieg.
    Die Treppe mündete auf einen langen, ebenerdigen Vorraum, von dem vier bis

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