Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Ballonfahrerin des Königs

Titel: Die Ballonfahrerin des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Douglas
Vom Netzwerk:
verunsichert.
    «André, entschuldige! Ich benehme mich schrecklich, und ich weiß es.»
    Er atmete tief durch. Wartete ein paar Sekunden, um seine Züge wieder unter Kontrolle zu bekommen. Dann drehte er sich langsam
     um.
    Sie stand dicht vor ihm. So dicht, dass er ihre Wimpern zählen konnte. Und das Bedauern sah, das die graugrünen Seen ihrer
     Augen überschattete. Zumindest wollte er sich das einbilden. Er wollte, dass es ihr leidtat. − Nein, er hasste es, sie traurig
     zu sehen. Er riss den Kopf hoch, starrte an die hohe Decke. Herr im Himmel, hörte das denn nie auf?
    «André, bitte!» Sie berührte seine Schulter.
    Er nahm ihre Hand, und sie überließ sie ihm ohne Widerstand. Ihre Finger hatten kleine Schwielen an den Innenseiten und rochen
     leicht nach Talkum und Essig. Er konnte nicht widerstehen und drückte seine Lippen auf die weiße |169| Unterseite ihres Handgelenks. Aus ihrem Ärmel strömte ihm der Geruch ihrer Haut entgegen.
    «Citoyenne Duchesne!»
    Keuchend durchpflügte die Oberaufseherin die Reihen der Bettchen. Sie streckte Marie-Provence etwas hin. «Hier, das ist für
     dich abgegeben worden.»
    Marie-Provence entfaltete die Nachricht. Las sie. Wurde bleich. «Danke.» Sie blickte zu André hoch und sagte distanziert:
     «Es tut mir leid. Ich muss los.»
    Wie er diesen Gesichtsausdruck an ihr hasste! Er kam sich vor wie ein ausgehungerter Reisender, der auf ein Wirtshaus zuging.
     Die Fenster öffneten sich, Licht, Wärme und herrliche Gerüche fluteten heraus. Und dann beugte sich jemand aus dem Fensterrahmen,
     klappte die Holzläden zu. ‹Tut uns leid. Wir schließen.›
    Die Mousnier ließ einen Laut der Missbilligung vernehmen, als Marie-Provence aus dem Raum huschte. «Na wunderbar. Und ich
     darf wieder mal dem armen docteur beibringen, dass er seine Arbeit heute alleine machen darf.» Sie drehte sich zu André und
     meinte spöttisch: «Und du? Du hast dir den Tag wohl auch anders vorgestellt, was?»
    André ballte die Fäuste. «Ach, halt den Mund!», herrschte er die Frau an.
    ***
    Er hatte ihr nicht nacheilen wollen, als er aus der maison de la couche rannte. Doch ihm leuchtete schon von weitem ihr blaues
     Kleid vom Platz der Kathedrale entgegen. Und dann sah er den Mann, auf den sie zuging. Sehnig und schlank. Seine Stiefel waren
     abgestoßen, die Krempe seines Hutes gebrochen. Und doch bewegte er sich mit einer Selbstsicherheit, als gehöre die Stadt ihm.
    André sprang hinter einen Baum, schmiegte sich an die feuchte raue Rinde. Mit brennenden Augen beobachtete er, wie der Mann
     die Arme öffnete. Marie-Provence warf sich hinein, schüttelte den Kopf, barg ihr Gesicht an seiner Brust. |170| Er umschloss sie, redete auf sie ein. Drückte ihr einen Kuss auf den Scheitel.
    André wandte sich ab. Verharrte einige Augenblicke, zwang sich, zu warten, bis seine Atmung sich beruhigt hatte. Dann sah
     er erneut hinüber und erspähte das Paar gerade noch, als es einen Leihwagen bestieg und davonfuhr. Zeit zum Nachdenken blieb
     da keine. Er rannte los, warf sich in eines der wartenden Gespanne.
    Kurz hallte ihre Stimme in ihm nach:
Versprich es mir, André. Du darfst mir keine Fragen stellen, über mich nachforschen oder mich verfolgen!
Doch mit einem Faustschlag gegen das Verdeck brachte er die Stimme zum Schweigen.
    «Folgen Sie dieser Kutsche!», schrie André.
     
    Als er aus dem Wagen stieg, brummte André der Schädel. Die Fahrt hatte sich hingezogen, es war inzwischen nach Mittag. Er
     blinzelte in den Regen.
    «Wo sind wir überhaupt?»
    Der Kutscher sah ihn an, als mache er sich Sorgen über den geistigen Zustand seines Fahrgastes. «In Sartrouville, citoyen.
     Drüben steht der Wagen des Kollegen. Die Leute sind zur Kirche dahinten gelaufen.»
    Sartrouville? André entlohnte den Kutscher und sah sich um. Hier war er noch nie gewesen. Er war Pariser durch und durch,
     und was er von Sartrouville sah, überzeugte ihn, dass er bisher nichts versäumt hatte. Inzwischen war seine Wut verraucht.
     Geblieben war ein unendlich scheußliches Gefühl; ganz gleich, was er hier auch entdecken mochte, nichts würde es verschlimmern
     können.
    Wie André bald feststellte, war die Kirche keine mehr, sondern ein Restaurant, das den kriecherischen Namen
Robespierre, Licht der Nation
trug. Er blieb im Schutz eines wuchtigen moosbepolsterten Kreuzes stehen, die Hände in den Hosentaschen, unschlüssig, was
     er jetzt machen sollte. Wahrscheinlich tafelten Marie-Provence und ihr

Weitere Kostenlose Bücher