Die Ballonfahrerin des Königs
sich für diesen Nachmittag |223| entschuldigt», sagte die ältere Frau, die ihr nach einem Läuten die Tür der maison de la couche geöffnet hatte. «Tut mir leid.
Wenn es um eine Segnung geht, musst du morgen wiederkommen.»
«Aber morgen wird es zu spät sein!», rief Rosanne.
«Ihr Erstgebärende seid doch alle gleich! Macht ein Getue, als wäre noch nie ein Kind auf die Welt gekommen.» Die Alte beäugte
ihren Bauch. «Du bist doch allerhöchstens im fünften Monat, oder? Da wirst du schon noch eine Nacht warten können.»
«Ich bin nicht schwanger! Ich muss der Bürgerin Duchesne dringend etwas sagen − es geht um Leben und Tod!» Rosanne packte
die Alte. «Sie wohnt doch jetzt in der Stadt. Sag mir die Adresse, vielleicht treffe ich sie da an!»
«Rue de Gaillon.» Die Alte runzelte die Stirn. «Kannst du mir mal sagen, warum ihr da heute alle hinwollt?»
Rosannes Herz setzte für einen Schlag aus. «Was heißt das? Hat etwa schon jemand nach der Adresse gefragt?»
«Aber ja doch. Ein großer, kräftiger Mann, vor einer Stunde etwa.» Die Alte zuckte die Schultern. «Der ist bestimmt schon
längst da.»
***
«Ein Ballon? Das ist das Verrückteste und Abwegigste, das ich jemals gehört habe!», rief Poura.
Assmendis Augen glitzerten. «Was für eine Herausforderung!»
«Eine Luftfahrt …! Das ist nicht dumm. Das ist sogar ganz und gar nicht dumm. Man bedenke die Höhe, die diese Gefährte erreichen, und die
Entfernungen, die sie zurücklegen!», meinte der baron de Batz. «Einmal oben, wird keine Macht der Welt den König mehr erreichen
können.»
«Die Flucht müsste natürlich des Nachts geschehen. Eine interessante und sehr neue Idee, in der Tat», stimmte Saison zu. «Doch
auch nicht ohne Risiken. Ich habe für die Zeitung zwei- oder dreimal einen Aufstieg beobachten dürfen. Es ist |224| nichts, das man einem Laien überlassen sollte.» Der Journalist sagte ernst: «Keiner von uns ist fähig, einen solchen Ballon
zu fahren, Monsieur le Chevalier.»
Guy de Serdaine klopfte auf die Karikatur, die noch immer auf dem Tisch lag. «Nein. Aber meine Tochter kennt jemanden, der
es kann.»
Die Männer wandten sich Marie-Provence zu. Batz spitzte die Lippen. «Wird er uns helfen?», fragte er knapp.
Guy de Serdaine betrachtete seine Tochter. Sein Gesicht war ausdruckslos. «Morgen werden wir es wissen», sagte er.
***
Rosanne war völlig außer Atem, als sie die rue de Gaillon erreichte. Ihr Blick lief an der doppelten Reihe mehrstöckiger Wohnhäuser
entlang, die die Straße säumte. Sie schlug die Hände auf die Wangen. Nur mit Mühe drängte sie die Tränen zurück. Mein Gott,
wie sollte sie unter all diesen Gebäuden das richtige Haus finden? Ihr Blick huschte über die unzähligen Türen. Zwar war es
seit einem Jahr Pflicht, dass dort die Namen, das Geschlecht und das Alter sämtlicher Bewohner eines Hauses angeschlagen wurden.
Doch sie konnte unmöglich alle Hauseingänge dieser Straße kontrollieren!
Kurz entschlossen packte sie einen Passanten am Arm. «Citoyen, weißt du, wo docteur Jomart wohnt? Der Arzt vom Waisenheim?»
Dann sah sie Georges.
Und er sah sie auch.
***
«Du hast mir zwei Wochen gegeben!», rief Marie-Provence außer sich. «Weshalb muss ich jetzt plötzlich alles überstürzen?»
Kaum waren die anderen Teilnehmer des geheimen Treffens aus dem Keller verschwunden, hatte Marie-Provence ihren Vater zur
Rede gestellt.
|225| Dieser allerdings zeigte sich unbeeindruckt. «Von diesen zwei Wochen ist bereits die Hälfte um. Jeder weitere Tag, den wir
verstreichen lassen, gefährdet uns und die Bewohner von Maisons. Es gibt keinen Grund, noch länger zu warten.»
«Doch, den gibt es! Wie stellst du dir das vor? Soll ich bei André in die Fabrik spazieren und ihm sagen: ‹Du hast die Wahl,
entweder bringt dich mein Vater um, oder du hilfst uns dabei, den König zu befreien – was dich im Übrigen ebenfalls den Kopf
kosten kann!?›»
«Manchmal ist es eben so im Leben. Es bleibt einem nur die Wahl zwischen zwei Übeln. Außerdem hast du selbst die Idee mit
dem Ballon gehabt.»
Marie-Provence rang die Hände. «Ich brauche mehr Zeit!»
«Du hattest eine Woche, in der du keinen Schritt weitergekommen bist.»
«André lag die meiste Zeit davon krank im Bett!», empörte sie sich.
Ihr Vater schnaubte ungeduldig. «Was ist los, ma fille? Ich dachte, du willst genau wie ich den König befreien!»
«Das will ich auch!»
Ihr Vater
Weitere Kostenlose Bücher