Die Ballonfahrerin des Königs
nahm ihre Hände. «Hör zu, Marie-Provence, es gibt nur zwei Möglichkeiten. Levallois bringt den König über die Stadtgrenze.
Oder er weigert sich, uns zu helfen. Die Zeit wird keinen Einfluss auf Levallois’ Entscheidung haben.» Er sah sie eindringlich
an. «Du brauchst nichts zu befürchten, ma petite. Wenn die Liebe dieses Mannes zu dir groß genug ist, wird er uns helfen.
Und wenn nicht – dann war er es nicht wert, dass du auch nur einen Gedanken an ihn verschwendest. Denk lieber an Louis-Charles.
Denk an deine Mutter!» Er drückte ihre Hände so fest, dass es schmerzte. «Wir haben uns ein hohes Ziel gesteckt, Marie! Und
niemand hat gesagt, dass es leicht sein wird, es zu erreichen. Willst du schon beim ersten Hindernis umkehren?»
Das verwüstete Gesicht ihrer Mutter, das von der Höhe des Leiterwagens auf sie herabsah, tauchte vor Marie-Provence’ |226| innerem Auge auf. Ein Kind, das sie durch Gitterstäbe hindurch anstarrte. Sie schüttelte den Kopf. «Nein, das will ich nicht»,
flüsterte sie. Und ihr war sterbenselend.
***
«Was willst du hier? Bist du gekommen, um deine Freundin zu warnen?», fragte Georges.
Rosanne war auf der Hut. Sie blieb in gebührendem Abstand stehen. «Hast du nach deinem Besuch heute Morgen wirklich geglaubt,
ich würde dir freie Hand lassen?» Rosanne schüttelte den Kopf. «Du unterschätzt mich immer noch, Georges.»
Ihr Mann sah sie entschlossen an. «Du hättest dir den Weg sparen können. Deine Freundin wird heute dafür büßen, dass sie uns
auseinandergebracht hat, und es gibt nichts, was du daran ändern könntest.»
«Was willst du tun, um mich daran zu hindern, Marie-Provence zu warnen? Mich verprügeln, hier, auf offener Straße?», höhnte
Rosanne. «Das wirst du nicht wagen!» Sie sah, wie Georges die Fäuste schloss, und wich vorsichtshalber noch einen Schritt
zurück.
Doch ihr Mann beherrschte sich. «Ich will nur, dass diese Frau ihre Strafe bekommt. Und dass anschließend alles wieder wie
früher wird. Ich werde diese Frau aus dem Weg schaffen. Sie hat einen schlechten Einfluss auf dich. Danach wirst du zu mir
zurückkehren.»
Rosanne lachte bitter auf. «Das werde ich nie tun, Georges! Ich werde hier stehen, bis Marie-Provence zurückkommt. Auch wenn
es bis in die Nacht dauern sollte. Und ich werde sie vor dir warnen. Es gibt nichts auf der Welt, das mich daran hindern könnte.
Und dann werde ich verschwinden, an einen Ort, an dem du mich nie wiederfinden wirst.» Voller Abscheu stieß sie aus: «Ich
habe abgeschlossen mit dem alten Leben, Georges! Ich werde nicht wieder zum Restaurant zurückkehren. Das ist das letzte Mal,
dass wir uns sehen!» Die leidenschaftliche Rede hatte sie so mitgerissen, dass sie sich |227| unmerklich vorgebeugt hatte. Ihren Fehler bemerkte sie erst, als seine Finger sich bereits in ihr Fleisch gruben.
Georges lächelte triumphierend. «Ich glaube nicht, dass du das tun wirst, Rosanne.»
«Hilfe! So helft mir doch!», rief Rosanne. Sie schlug und trat um sich, bis Georges auch ihren zweiten Arm zu fassen bekam
und ihn so schmerzhaft nach hinten bog, dass sie aufschrie.
Ein paar Passanten blieben stehen. «Da kommen die Gendarmen!», rief ein Mann.
Rosanne hob den Kopf. Als sie die vier Männer in blauroten Uniformen erblickte, atmete sie erleichtert aus. «Citoyens gendarmes,
ihr müsst mir helfen!»
«Was ist hier los?», fragte einer der Männer, über dessen Oberlippe ein schwerer Schnurrbart hing.
«Sie macht Ärger», sagte Georges. «Gut, dass ihr endlich da seid. Es wäre besser, sie würde aus dem Verkehr gezogen werden,
bis die Duchesne kommt.»
Rosanne riss die Augen auf und starrte ihren Mann fassungslos an.
«Komm mit», befahl der Uniformierte und packte Rosanne grob. «Ich rate dir, ab jetzt den Mund zu halten, wenn wir dich nicht
auch noch mitnehmen sollen.» Er zerrte sie in ein nahes Geschäft. «Wir beide werden hier drinnen warten, ma jolie.» Er schmunzelte
und deutete auf das Schaufenster. «Du wirst eine Loge in der ersten Reihe haben, wenn wir die Duchesne verhaften.»
***
André betrachtete seine Begleiterin von der Seite. Seit etwa einer halben Stunde, seit er und Marie-Provence den quai de la
Ferraille in Richtung pont au Change hinunterspazierten, hatten sie keine zehn Worte gewechselt. Zum ersten Mal war Marie-Provence
vorhin aus eigenem Antrieb im Laden erschienen, um ihn zu einem kleinen Ausflug einzuladen, und er hatte sein Glück
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