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Die Ballonfahrerin des Königs

Titel: Die Ballonfahrerin des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Douglas
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nicht, André! Bitte glaub mir!», beschwor sie ihn. «Ich wollte
     dich nie da hineinziehen!»
    «Nun, das ist dir ja wirklich gut gelungen. Ich habe also die Wahl, mich entweder von deinem Vater umbringen zu lassen oder
     in einer aussichtslosen Befreiungsaktion Kopf und Kragen zu riskieren, die, sollte sie dennoch glücken, mich zum meistgesuchten
     Verbrecher des Landes machen wird. Irgendwie geht mir der Gedanke nicht aus dem Kopf, |235| dass du und deine Freunde kaum besser seid als der Henker, der jeden Tag auf der place de la Révolution steht. Nur dass der
     Mann ehrlicher vorgeht!»
    Ihr tränennasses Gesicht wurde totenblass.
    «Ihr habt nichts dazugelernt, nicht wahr?», warf André ihr hart entgegen. «Dein Stand glaubt immer noch, er könne mit dem
     Schicksal anderer Menschen spielen, Leben einsetzen und wegwerfen, so wie ihr es jahrhundertelang getan habt. Aber das ist
     vorbei!» Er griff nach ihrem Arm. «Sag deinem Vater, dass ich mich nicht erpressen lasse, Marie-Provence! Soll er kommen und
     versuchen, mich umzubringen. Ich werde auf ihn warten. Leichtmachen werde ich es ihm nicht. Diesmal wird er mich nicht so
     unvorbereitet erwischen wie im Keller von Maisons!»
    Sie starrte ihn fassungslos an. «Wie kannst du nur so ungeheure Vergleiche ziehen? Du hast kein Recht dazu!» Tränen strömten
     ihr über die Wangen. «Weißt du überhaupt, was um dich herum passiert? Warst du wenigstens einmal mutig genug, in die Gesichter
     der Menschen zu sehen, die jeden Tag abtransportiert werden?» Sie schluchzte auf. «Du hast doch überhaupt keine Ahnung! Du
     entschwebst in deinem Ballon, du begeisterst dich für irgendwelche neuen Maßeinheiten und schimpfst über deinen Bruder – aber
     was weißt du schon über die Angst vor der Willkür? Was weißt du von dem Grauen?» Sie schlug auf seine Hand, so heftig, dass
     er losließ. «Fass mich nie wieder an! Und verschwinde endlich aus meinem Leben! Ich habe dich da nie haben wollen!» Und sie
     rannte davon.
     
    Mit gesenktem Kopf und raschen Schritten eilte Marie-Provence die rue de Gaillon entlang. Zusammengeknüllt in ihrer Hand lag
     ihr nasses Taschentuch. Sie war froh, nicht nach Maisons zu müssen. Sie wollte keinem der Menschen dort begegnen, vor allem
     nicht ihrem Vater. Sie wollte alleine sein. Die drei Uniformierten, die ihr auf der Straße entgegensahen, ignorierte sie,
     so wie sie alles um sich herum ignorierte. Die Welt sollte sie in Ruhe lassen!
    |236| Erst das Klopfen ließ sie aufschrecken. Sie blickte um sich – und machte eine Bewegung hinter einem Schaufenster aus. Eine
     wild gestikulierende Frau, die mit ihren Fingerknöcheln an die Scheibe hämmerte. Verblüfft blieb Marie-Provence stehen. Rosanne?
    Als die Gendarmen sie plötzlich umringten, war es zu spät.
    «Bist du die Bürgerin Marie-Provence Duchesne, Arztgehilfin in der maison de la couche?»
    Eine Hand fiel schwer auf ihre Schulter.
    «Du bist verhaftet im Namen der Republik.»

|237| 8.   KAPITEL
    Thermidor, Jahr II
    Juli 1794
     
    Marie-Provence wurde in einen kleinen Raum geführt, in dem ein müde aussehender Mann in Zivil über ein armlanges Buch gebeugt
     saß. Er sah nicht auf, sondern fischte eine Feder aus einem bereitstehenden Behälter und stippte den zugespitzten Kiel in
     ein Tintenfässchen.
    Der Gendarm, der Marie-Provence hereingeführt hatte, zückte ein Papier und las vor: «Marie-Provence Duchesne. Neunzehn Jahre
     alt, ledig, residierend in der rue de Gaillon. Angestellt in der maison de la couche, auf der île de la Cité.» Er gähnte herzhaft.
    Inzwischen war es weit nach Mitternacht, und auch Marie-Provence taumelte vor Müdigkeit. Zwei Stunden hatte sie vor den Mitgliedern
     des revolutionären Überwachungskomitees ausharren müssen, bevor man sie nach einem kurzen Blick auf ihre Akte offiziell unter
     Arrest stellte. Danach hatte eine Odyssee durch Paris begonnen: Marie-Provence und ihre Mitgefangenen wurden über die Gefängnisse
     der Stadt verteilt. Bis in die Nacht hinein hatte der schlechtgefederte Wagen seinen holpernden Gang fortgesetzt. Als sie
     endlich La Force erreicht hatten, das Gefängnis, in das Marie-Provence eingeliefert werden sollte, bis ihr Fall vor das Tribunal
     kam, war ihre Angst einer bleiernen Müdigkeit gewichen.
    Marie-Provence wurde in den nächsten Raum geschoben. Vier Männer hoben den Kopf, als sie eintrat.
    «Bienvenue im schönen Gefängnis von La Force», empfing sie der Erste. «Na, dann zieh dich mal

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