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Die Ballonfahrerin des Königs

Titel: Die Ballonfahrerin des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Douglas
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aus.»
    Marie-Provence sah sich um auf der Suche nach einem Sichtschutz.
    |238| «Die Zofe ist leider ausgegangen, und den Umkleideraum hat sie auch mitgenommen», höhnte einer der Männer.
    Marie-Provence errötete. Mit steifen Fingern löste sie das verknotete Brusttuch von ihren Schultern. Es wurde ihr aus der
     Hand gerissen und wanderte in einen bereits gutgefüllten Sack.
    «Weiter!», fuhr sie der Wärter an. «Allons, mach voran, es sind noch andere da, die warten!»
    «Soll ich denn noch mehr ausziehen?»
    «Das Unterhemd darfst du anbehalten. Nun mach schon!»
    «Was ist denn das?», fragte der zweite Mann. Marie-Provence wandte den Kopf ab, als sein nach Schnaps riechender Atem sie
     erreichte. Er zerrte an ihrem Kragen und legte die Kette mit dem goldenen Kreuz frei. Mit einem Ruck riss er ihr das Schmuckstück
     vom Hals. «Es ist verboten, christliche Symbole zu tragen!», blaffte er. Die Kette wanderte in seine Jackentasche.
    Marie-Provence blieb stumm, während ihre Sachen sortiert und in verschiedene Säcke verteilt wurden. Sie erschauerte, als die
     Kälte der abgetretenen Steine durch ihre nackten Fußsohlen drang, und verschränkte die Arme über ihrem dünnen Hemd.
    «Gut. Und jetzt die Leibesvisitation», sagte einer der Männer. «Dreh dich einmal um die eigene Achse! Aber nicht zu schnell!»
    Marie-Provence biss die Zähne aufeinander. Langsam begann sie sich zu drehen.
    «Ich mach es!», rief der Wärter mit der Schnapsfahne.
    «Nein, nicht du, Troplein! Du hast dir schon die Kette unter den Nagel gerissen.»
    «He, da wusste ich noch nicht, was für ein hübsches Früchtchen sie ist!» Troplein griff in seine Tasche und ließ das goldene
     Kreuz baumeln. «Ich tausche!»
    Der Erste zückte ein paar Strohhalme.
    «Wir losen aus.»
    |239| «Hier rein!», befahl der Wärter und gab Marie-Provence einen Stoß. Sie stolperte in eine Zelle. Bevor sie irgendetwas erkennen
     konnte, schlug die Tür der Zelle zu und vollkommene Finsternis umhüllte sie. Marie-Provence rührte sich nicht und zog die
     grobe, ärmellose Kutte, die ihr im Tausch für ihre Kleider gegeben worden war, enger um sich. Obwohl draußen Hochsommer herrschte,
     war es hier kalt wie in einer Gruft.
    Ein Geräusch ließ sie zusammenfahren. «Ist hier jemand?», schrie sie. Ihre weitaufgerissenen Augen starrten blind in die Nacht.
    «Halt das Maul und schlaf!», donnerte es aus einer Ecke. Irgendjemand schnaufte aus einer anderen Richtung.
    Marie-Provence schluckte, fragte mit dünner Stimme: «Ich habe schrecklichen Durst. Gibt es hier irgendwo Wasser?»
    «Hier, trink das!» Es holperte im Dunkeln, kurz darauf stieß etwas Hartes an ihre nackten Zehen, und Flüssigkeit schwappte
     über ihre Fußknöchel. Marie-Provence beugte sich hinab – und stieß einen angeekelten Laut aus, als ihr der beißende Geruch
     in die Nase stieg. Man hatte ihr einen Nachttopf über die Füße geleert. Hämisches Gelächter tönte aus der Dunkelheit.
    Marie-Provence würgte. Sie griff ins feuchte Stroh, das über den Boden verteilt lag, und rieb sich damit die Füße, bis ihre
     Haut brannte. Etwas abseits ließ sie sich zu Boden sinken und rollte sich zusammen. Trotz ihrer Erschöpfung konnte sie lange
     kein Auge zutun. Die Bilder des vergangenen Tages verfolgten sie. Seltsamerweise war es Andrés verletztes, wütendes und unglückliches
     Gesicht, das in ihrer Erinnerung vor allen anderen schrecklichen Erlebnissen des Tages immer wieder auftauchte.
    ***
    André holte ein Birnholzbrett von dem Wagen, der gerade in den Hof gefahren war, und wendete es prüfend. Er nickte seinem
     Lageraufseher zu.
    |240| «Die Lieferung ist in Ordnung. Du kannst sie gleich in den Schnitzraum bringen, dort warten sie bereits drauf.» Er wies auf
     ein Paket, in dem die Kämme lagen, die für die Motive mit Farbspritzungen gebraucht wurden. «Die nimm auch mit. Was ist mit
     den Rohstoffen?»
    Der Mann fischte ein Tuch aus seiner Tasche und wischte sich über die Stirn. Die Sonne hatte ihren Zenit schon länger überschritten,
     und die Pflasterung des Innenhofes strahlte die Hitze des Tages zurück. «Alles ist eingetroffen. Allerdings nicht in der bestellten
     Menge.»
    André verzog den Mund. Die clubs und comités verbrauchten Unmengen an Papier und bedienten sich hemmungslos auf dem Markt.
     Schon seit etlichen Monaten lief die Tapetenfabrik Levallois unter ihrer Kapazität. Doch da die Verkäufe gleichermaßen zurückgegangen
     waren, hatten sie bisher ihren

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