Die Bancroft Strategie: Roman (German Edition)
mühsam heraus. »Ich brauche diese Erfahrung.«
»Und so ist im Stiftungsrat abgestimmt worden. Meiner Ansicht nach voreilig. Laura Parry war eine unglaublich lebendige, hellwache Frau. Eine wirkliche Bereicherung für dieses Gremium. Und wenn sie eine Schwäche hatte … nun, wer von uns hätte keine? Aber die Aufforderung zum Rücktritt muss ihr als drakonische Strafe erschienen sein. Sie war zornig und durcheinander – aber wer hätte sie dafür tadeln können? Sie hat auf eine Art und Weise reagiert, die man hätte voraussehen müssen. In Katonah werden alkoholische Getränke nicht hinter Schloss und Riegel aufbewahrt. So konnte sie sich ohne Schwierigkeiten betrinken.«
Andrea hatte pochende Kopfschmerzen. Der Balsam von Gilead , so hatte ihre Mutter ihn einst im Scherz genannt. All diese Gläser mit Eiswürfeln und Wodka. Aber sie hatte damit aufgehört.
Sie hatte nie mehr einen Tropfen angerührt. Oder etwa doch?
»Sowie jemand gemerkt hatte, dass sie mit ihrem Auto weggefahren war, haben wir ihr einen Mann unseres Sicherheitsdiensts nachgeschickt. Er sollte versuchen, sie anzuhalten, sie sicher zurückzubringen.« Er schüttelte betrübt den Kopf. »Aber da war’s schon zu spät.«
Die beiden saßen einige Minuten lang schweigend da. Paul Bancroft schien zu verstehen, dass er Andrea nicht drängen durfte, dass sie Zeit brauchen würde, um die Fassung zurückzugewinnen.
Der braun gebrannte Weizenblonde – Scanlon – kam mit der Telefonnummernliste zurück.
»Die Nummer gehört einem Thomas Hill Green jr., Sir«, berichtete er seinem Chef knapp. »Beauftragter für Öffentlichkeitsarbeit des US-Generalkonsulats in Dubai. Wir stellen gerade seine Lebensdaten zusammen.«
Bancroft wandte sich an seine Cousine. »Hältst du das für möglich?« Er bemerkte ihren zweifelnden Gesichtsausdruck und schlug vor: »Am besten rufst du die Nummer gleich mal an, okay?« Er deutete auf eine kompakte schwarze Telefonkonsole auf dem niedrigen Tischchen zwischen ihren Sesseln.
Andrea schaltete erst den Lautsprecher ein, dann tippte sie sorgfältig die lange Telefonnummer ein. Nach einigen Sekunden mit atmosphärischen Störungen war das Surren eines am anderen Ende klingelnden Telefons zu hören.
Eine freundliche, fast fröhliche Stimme. »Tommy Green.«
»Ich rufe von der Bancroft-Stiftung aus an«, sagte Andrea. »Wir versuchen, den Beauftragten für Öffentlichkeitsarbeit des Generalkonsulats zu erreichen.«
»Da haben Sie Glück gehabt«, sagte die Stimme. »Was kann ich für Sie tun? Geht’s um die Bildungskonferenz, die wir heute Abend veranstalten?«
»Entschuldigung, Mr. Green«, sagte Andrea. »Ich habe etwas durcheinandergebracht. Ich muss Sie später noch einmal anrufen.« Sie legte auf.
»Die Stiftung fördert mehrere Bildungsprojekte in den Golfstaaten«, sagte Bancroft vorsichtig. »Ist er angerufen worden, dürfte es um die Koordinierung unserer Programme in den Emiraten gegangen sein. Aber wenn du möchtest, kann ich weitere Nachforschungen anstellen lassen. Allerdings hört man manchmal, dass Handynummern von allen möglichen Straftätern ›geklont‹ werden. So halsen sie ihre Telefonrechnung anderen Leuten auf.«
Andrea sah zu dem schäumenden Bach hinaus. »Nein, lass es bitte gut sein«, sagte sie. Eigentlich hatte sie Paul nach dem namenlosen muskulösen Mann fragen wollen. Aber bei Tageslicht wusste sie nicht mehr recht, was er Beunruhigendes getan oder gesagt hatte. Beim Zurechtlegen ihrer Beschwerde im Kopf klang alles so schrecklich hysterisch. Die Worte erstarben ihr auf den Lippen.
»Du weißt, dass du mich immer alles fragen kannst«, sagte Bancroft. »Ich bin für alle Fragen offen.«
»Danke«, sagte sie mechanisch.
»Du kommst dir töricht vor. Das darfst du nicht. Du hast nur getan, was ich auch getan hätte. Jemand gibt einem ein Goldstück, also beißt man darauf, um festzustellen, ob es echt ist. Du bist auf Dinge gestoßen, die dir rätselhaft waren. Folglich musstest du mehr über sie herausbekommen. Wäre dies ein Test gewesen, hättest du ihn mit fliegenden Fahnen bestanden.«
»Ein Test? Sollte das etwa einer sein?« Das klang gereizter, als sie eigentlich beabsichtigt hatte.
»Das habe ich nicht behauptet.« Der Philosoph presste die Lippen zusammen, zögerte. »Aber wir werden alle auf die Probe gestellt – jeden Tag, jede Woche, jedes Jahr. Entscheidungen sind zu treffen. Urteile müssen gefällt werden. Und es gibt keine Antworten im rückwärtigen
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