Die Bancroft Strategie: Roman (German Edition)
Scheiben sah sie einen schäumenden Bach zwischen Stauden und Blumenrabatten hindurchschießen.
»Notwendig«, wiederholte sie. »Ein gefährliches Wort.«
»Unter korrupten Regimes haben wohltätige Projekte manchmal nur Erfolg, wenn Bösewichte und Verhinderer identifiziert und zum Abtreten gezwungen werden – zum Beispiel durch die Drohung, öffentlich bloßgestellt zu werden. So hat alles angefangen, weißt du.« Seine polierte, einschmeichelnde Stimme war beruhigend, fast einlullend. Er lehnte sich in den Ledersessel mit Chromgestell zurück und richtete seinen Blick in mittlere Entfernung. »Das war vor vielen Jahren. Die Stiftung hatte gerade ein teures Wasserprojekt in der ecuadorianischen Provinz Zamora-Chinchipe abgeschlossen, das Zehntausende von armen Dorfbewohnern – überwiegend Quechuas – mit sauberem Trinkwasser versorgen sollte. Dann haben wir plötzlich erfahren, dass ein notorisch korrupter Minister beschlossen hatte, das betreffende Gebiet an sich zu bringen. Wie sich herausstellte, wollte er es an eine Bergwerksgesellschaft verkaufen, von der er schon immer regelmäßige Zahlungen erhalten hatte.«
»Verbrecherisch!«
»Andrea, ich bin selbst dort gewesen. Ich bin durch volle Krankensäle gegangen, in denen Kinder von vier, fünf oder sechs Jahren im Sterben lagen, weil sie verseuchtes Wasser getrunken hatten. Ich habe ins tränennasse Gesicht einer Mutter gesehen, die fünf Kinder durch Giftstoffe und Parasiten im Wasser verloren hatte. Und solche Mütter hat es zu Hunderten und Aberhunderten gegeben. Regelmäßig sind Hunderte und Aberhunderte von Kindern erkrankt, verkrüppelt worden oder gestorben. Das alles musste nicht sein. Es ließ sich verhindern . Man musste nur Anteil nehmen an diesen Schicksalen. Was dort offenbar zu viel verlangt war.« Seine Augen waren feucht, als er Andrea jetzt wieder ansah. »Unsere dortige Projektleiterin, die aus Zamora stammte, besaß zufällig Informationen, die dem Minister persönlich schaden konnten. Sie ist damit zu mir gekommen. Und ich, Andrea, habe tief Luft geholt und eine Entscheidung getroffen.« Der Blick seiner braunen Augen war offen, warm, stetig, unerschrocken. »Ich habe entschieden, diese Informationen wie von ihr erhofft zu verwenden. Wir haben den korrupten Minister neutralisiert.«
»Das verstehe ich nicht. Was habt ihr getan?«
Er machte eine vage Handbewegung. »Eine geflüsterte Bemerkung. Ein Wort an den richtigen Mittelsmann. Wir haben einen Schritt vorwärts gemacht. Er ist einen Schritt zurückgewichen. Und noch im selben Jahr wurden Tausende von Menschenleben gerettet.« Er machte eine Pause. »Hättest du anders gehandelt?«
Ihre Antwort kam ohne Zögern. »Welche andere Wahl hätte es denn gegeben?«
Bancroft nickte erleichtert. »Du verstehst also, worauf ich hinauswill. Um die Welt zu verändern – um die Gesamtmenge menschlichen Wohlergehens zu steigern –, muss Philanthropie weltlich sein. Sie muss strategisch, nicht nur wohlmeinend sein. Solche strategischen Informationen zu sammeln – und notfalls
danach zu handeln –, übersteigt die Fähigkeiten traditioneller Programmkoordinatoren. Deshalb musste diese spezielle Einrichtung für eine spezielle Abteilung geschaffen werden.«
»Von der niemand weiß.«
»Von der niemand erfahren darf. Das würde die Ergebnisse, die wir zu erzielen hoffen, schwer beeinträchtigen. Die Leute würden versuchen, unsere Interventionen vorauszusehen und ihnen zuvorzukommen – und vorhersagen, was andere vermutlich voraussagen werden, um vorherzusagen, was andere aufgrund solcher Voraussagen vorhersagen werden. Und daraufhin könnte uns der Berechnungsversuch wirklich um die Ohren fliegen. Die verschwommenen Horizonte der Kausalität würden endgültig unsichtbar.«
»Aber welchen Zweck hat diese Abteilung genau? Das hast du noch immer nicht gesagt.«
»Die Gruppe Theta …« Bancrofts Blick war wachsam, aber warm. »Und willkommen in ihr.« Er stand auf. »Du erinnerst dich, was du über perverse Konsequenzen gesagt hast. Über die gut gemeinte Tat mit bösen Folgen. Genau diesem Problem widmet sich meine hiesige Projektgruppe. Auf einer noch nie so angestrebten Ebene von Details und Präzision. Du bist eine taffe junge Frau, Andrea, aber das liegt nicht daran, dass du kein Herz hast. Es liegt im Gegenteil daran, dass du Herz und Kopf hast und dir darüber im Klaren bist, dass eines ohne das andere wertlos ist.«
Sein Gesichtsausdruck hatte etwas von einem
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