Die Bancroft Strategie: Roman (German Edition)
anderen. Er wandte sich wieder an sie. »Die meisten dieser Terminals sind an ein riesiges System aus parallel arbeitenden Prozessoren angeschlossen – wir haben nicht nur einen Supercomputer Cray XT3, sondern einen ganzen Saal davon. Den schnellsten Computer der Welt dürfte das Energieministerium im Livermore National Laboratory stehen haben. Den zweiten Rang nimmt angeblich das Blue-Gene-System der IBM in Yorktown ein. Unserer ist vermutlich Dritter – Kopf an Kopf mit einem in Sandia und einem weiteren an der niederländischen Universität Groningen. Wir sprechen von Rechnersystemen, die Hunderte von Tetraflops pro Sekunde ausführen können: Hunderte von Milliarden Rechenschritten. Stell dir sämtliche Berechnungen vor, die im ersten halben Jahrhundert des Computerzeitalters vorgenommen worden sind – dieser Cluster leistet in einer Stunde mehr. Maschinen mit solcher Rechenleistung werden zu genomischer und proteomischer Analysis, zur Vorhersage chaotischer seismischer Aktivitäten, zur Simulierung von Kernwaffendetonationen und dergleichen benützt. Was wir im Modell darstellen, ist nicht weniger komplex. Wir modellieren Ereignishorizonte und -kaskaden, die sich auf alle sieben Milliarden Bewohner dieses Planeten auswirken.«
»Großer Gott«, flüsterte Andrea. »Ihr versucht, Glück berechenbar zu machen, um den größten Nutzen für die größte Anzahl von Menschen zu erzielen.«
»Das war immer nur ein Schlagwort. Niemand hatte auch nur eine vage Vorstellung davon, Glück tatsächlich zu berechnen. Die Unabwägbarkeiten sind einfach zu komplex. Dass der Rechenvorgang einem um die Ohren fliegen kann, bleibt ein Problem. Aber wir haben reale Fortschritte mit realen Ergebnissen gemacht. Seit der Aufklärung war das ein Traum großer Geister.« Seine Augen blitzten. »Wir verwandeln Moralität in Mathematik.«
Andrea war sprachlos.
»Das menschliche Wissen soll sich in den fünfzehnhundert Jahren zwischen Christi Geburt und der Renaissance bekanntlich verdoppelt haben. Zwischen Renaissance und französischer Revolution hat es sich wieder verdoppelt. In den folgenden hundertfünfundzwanzig Jahren bis zum Höhepunkt der industriellen Revolution, der Erfindung des Automobils, hat das menschliche Wissen sich erneut mehr als verdoppelt. Und heutzutage, Andrea, verdoppelt es sich ungefähr alle zwei Jahre. Gleichzeitig entwickeln unsere moralischen Fähigkeiten sich nicht weiter. Das technische Können unserer Spezies übertrifft ihre moralischen Kräfte bei Weitem. Die Rechenleistung, die wir hier installiert haben, ist eigentlich eine Art mentaler Prothese, die unsere intellektuelle Kapazität mit künstlichen Mitteln erweitert. Aber noch wichtiger ist letztlich, dass die Kombination aus Algorithmen und Analysen und Computermodellen uns gewissermaßen mit einer moralischen Prothese versieht. Niemand erhebt Einwände, wenn die NASA oder das Human Genome Project Wissenschaftler und Computer einsetzt, um bestimmte technische oder biologische Probleme zu lösen, vor denen wir stehen. Weshalb sollten wir das Wohlergehen unserer Spezies nicht direkter angehen? Dieser Herausforderung stellen wir uns hier.«
»Aber was heißt das genau? Was bedeutet das in der Praxis?«
»Kleine Interventionen können große Wirkungen haben. Wir versuchen, Ereigniskaskaden vorauszuberechnen, um die Folgen einer Intervention beurteilen zu können. Entschuldige, das ist noch immer zu abstrakt, nicht wahr?«
»Allerdings!«
Der Blick, den er ihr zuwarf, war freundlich, aber nachdrücklich. »Ich muss mich allerdings auf deine Diskretion verlassen können. Das Programm würde nicht funktionieren, wenn seine Aktivitäten bekannt würden.«
»Aktivitäten? Du sprichst weiter in Rätseln.«
»Und unsere Geheimhaltung erscheint dir zweifellos verdächtig«, stellte Paul Bancroft fest. »Im Allgemeinen hättest du damit recht. Du fragst dich, weshalb ich diese Gruppe hier draußen isoliert habe, damit sie auf keinem Radar erscheint … buchstäblich auf keiner Karte zu sehen ist. Du fragst dich, was ich zu verbergen habe.«
Andrea nickte wortlos. Fragen schwirrten ihr durch den Kopf, aber sie wusste, dass es vorerst am besten war, möglichst wenig zu sagen.
»Eine delikate Angelegenheit«, fuhr er fort. »Aber wenn ich dir erzähle, wie alles angefangen hat, erkennst du bestimmt, weshalb das notwenig war.«
Paul Bancroft hatte sie in eine ruhige Nische mit Blick auf einen üppig grünen Park geführt. Durch die dunkel getönten
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