Die Bancroft Strategie: Roman (German Edition)
können. Stattdessen
hatten die Unbekannten, die Unsicherheiten sich nur vervielfacht.
Nikos Stavros. Welche Rolle spielte er in der ganzen Geschichte?
Richard Lugner alias R. S. Lanham. War er doch Genesis gewesen? Oder nur eine Schachfigur des Unbekannten? Was war an jenem schicksalhaften Tag des Jahres 1987, als Belknap und Rinehart sich in Lugners Wohnung in der Karl-Marx-Allee begegnet waren, wirklich passiert?
Eines stand jedenfalls fest: Hinter den damaligen Ereignissen in Ostberlin steckte mehr, als auf den ersten Blick sichtbar gewesen war. Hatte Lugner alle diese Bühnentricks selbst organisiert?
Belknap schluckte trocken. War Jared Rinehart ebenso getäuscht worden wie er? Oder hatte Jared – dieser Gedanke brannte wie Salzsäure – an dem Täuschungsmanöver mitgewirkt? Jareds Part hatte so mühelos gewirkt, als er genau im entscheidenden Augenblick aufgetaucht war. Um Belknap das Leben zu retten? Oder um Lugner zu helfen, durch eine Inszenierung zu entkommen, die sicherstellen würde, dass die Jagd auf ihn abgeblasen wurde?
Der Gehsteig schien zu schwanken, als Belknap erneut gegen starkes Schwindelgefühl ankämpfte.
Sein bester Freund. Sein zuverlässigster Verbündeter.
Jared Rinehart.
Belknap versuchte sich einzureden, der scharfe Wind treibe ihm Tränen in die Augen. Er hätte lieber über alles andere nachgedacht als über diese Sache, über die er dringend nachdenken musste.
Hatte es auch andere Unternehmen gegeben, bei denen Jared Rinehart ihn getäuscht hatte? Wie oft war er hinters Licht geführt worden – und weshalb?
Oder waren sie gemeinsam getäuscht worden?
Jared Rinehart. Castors Zwillingsbruder Pollux. Der Fels. Der Einzige, auf den man sich immer und unbedingt verlassen konnte. Der Einzige, der ihn niemals im Stich gelassen hatte. Er konnte Jared jetzt fast als schemenhafte Vision vor sich sehen. Seine zurückhaltende Wärme, seinen scharfen Verstand, seine unwiderstehliche Kombination aus nüchterner Objektivität, entschlossenem Zupacken und unerschütterlichem Gleichmut. Ein Partner, der mit einem durch dick und dünn ging. Ein Waffenbruder, ein Beschützer.
Vor Belknaps innerem Auge erschienen flackernde Bilder wie in einem Daumenkino. Die Schießerei in der Wohnung in der Karl-Marx-Allee, der misslungene Hinterhalt in der Nähe von Calí – das waren nur zwei von etwa einem Dutzend kritischen Situationen, die durch Jareds rechtzeitiges Auftauchen entschärft worden waren. Sei vernünftig!, ermahnte sich Belknap.
Rinehart war ein Held, ein Retter, ein Freund.
Oder er war ein Lügner, ein Manipulator, ein Mitverschwörer in einem ungeheuerlichen Plan, dessen Umfang alle Vorstellungskraft sprengte.
Was war wahrscheinlicher? Sei vernünftig .
Dann fiel ihm ein, was er Andrea Bancroft erklärt hatte: Die Wahrheit ist nicht immer vernünftig.
Er wäre am liebsten auf die Knie gefallen, hätte sich übergeben, sich mit beiden Händen die Ohren zugehalten und seinen Schmerz in die Nacht hinausgeschrien. Das waren Luxusreaktionen, die er sich nicht gönnen durfte. Stattdessen zwang er sich auf dem Rückweg zu Gennadi Tschakwetadses Haus am See dazu, die von seinen Sinnen gelieferten Hinweise zu analysieren, sich die Fragen zu stellen, mit denen er konfrontiert war. Dabei fühlte er sich, als müsse er zersplittertes Glas schlucken.
Wer war Jared Rinehart eigentlich?
Teil drei
Kapitel zwanzig
LARNAKA, ZYPERN
Der Flug von Tallinn zum Larnaka International Airport auf Zypern verlief ohne Zwischenfälle; die Stürme waren vorausgegangen. Calvin Garth war nicht begeistert gewesen, als Belknap ihm sagte, er müsse unbedingt seine Chartermaschine benützen – das warf finanzielle und logistische Schwierigkeiten auf –, aber er hatte schließlich doch nachgegeben. Eine Version der Gefälligkeiten, zu denen eine gemeinsame Schulkrawatte verpflichtete. Nicht ohne seinerseits kräftig zu meckern, hatte Gennadi Tschakwetadse es übernommen, den Papierkram zu erledigen. Er hatte nach wie vor gute Verbindungen zum estnischen Verkehrsministerium; so wurde das Unmögliche möglich gemacht.
Die dunkleren Sturmwolken waren aufgezogen, als er mit Andrea Bancroft telefoniert hatte.
»Darüber möchte ich im Augenblick nicht sprechen«, antwortete sie, als er sie nach ihrem Besuch in dem Archiv in Rosendale fragte. »Ich habe noch nicht alle Unterlagen ausgewertet.« In ihrer Stimme lag etwas Benruhigendes, weil es auf ein nicht eingestandenes Trauma schließen ließ.
Er
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