Die Bancroft Strategie: Roman (German Edition)
»Jesus! Ein amerikanischer Senator im Dienst eines geistesgestörten Verbrechers? Beängstigend.«
»Ich glaube nicht, dass Kirk in irgendjemands Diensten steht. Aber vielleicht nutzt Genesis ihn für seine Zwecke. Lässt ihn für sich arbeiten. Füttert ihn vielleicht gezielt mit Informationen.«
»Soll das heißen, dass der Senator sein Handlanger ist? Eine verrückte Idee!«
Belknap wechselte die Spur und beschleunigte stark, nur um zu sehen, ob ein anderer Wagen ihnen folgte. »Das soll nur heißen, dass der Senator in dieser Sache eine wichtige Rolle spielt. Vielleicht sogar ohne sein Wissen. Ich denke an etwas, das Lugner gesagt hat. Er hat von einem publicitysüchtigen Senator aus dem Mittleren Westen gesprochen. Seither frage ich mich, ob Genesis die Kirk-Kommission ausnützt, ob er – oder sie oder es – sie für seine Zwecke dienstbar gemacht hat.«
»Oder ihre.« Andrea rutschte auf dem Beifahrersitz herum, sah wieder zu ihm hinüber. »Fahren wir deshalb nach Washington ?«
»Freut mich, dass du wach genug bist, um Straßenschilder zu lesen.«
»Ich komme mir ein bisschen wie Daniel in der Löwengrube vor. Weißt du bestimmt, dass das der sicherste Weg ist?«
»Ganz im Gegenteil. Ich weiß bestimmt, dass er das nicht ist. Willst du den sichersten Weg gehen?«
»Teufel, nein«, erwiderte sie, ohne zu zögern. »Ich will, dass alles wieder ins Lot kommt. Ich bin nicht für ein Leben in Angst geeignet. Dafür bin ich nicht gebaut. Angstvoll in einer Höhle zu hocken ist nicht meine Art.«
»Meine auch nicht. Weißt du, du hättest eine klasse Agentin abgegeben, die Leute in den Hintern tritt. Die Gehälter sind nicht besonders, aber dafür darf man überall parken.« Belknap sah nochmals in den Rückspiegel, während er sprach. Weiter kein Anzeichen für Verfolger. Die I-9 5 war die verkehrsreichste Autobahn im Nordosten. Hier waren sie in der Masse sicher.
»Geh zur Army und sieh die Welt.« Andrea räkelte sich. »Haben wir eine Hypothese, von der wir ausgehen? Sprechen wir alles noch mal durch. Halten wir Paul Bancroft für Genesis?«
»Was denkst du?«
»Paul Bancroft ist ein Genie, ein Visionär, ein Idealist – das alles glaube ich. Aber er ist auch ein gefährlicher Mann.« Sie schüttelte langsam den Kopf. »Dass seine Vision so extrem ist, macht sie ungeheuerlich. Aber er handelt bestimmt nicht aus Eitelkeit. Nicht aus persönlicher Macht- oder Geldgier.«
»Versucht ein Mann, dem Rest der Welt sein Wertesystem aufzuzwingen, handelt er doch bestimmt aus …«
»Aber täten wir das nicht alle, wenn wir könnten? Denk daran, was Wilbur Smith in Orwells Roman 1984 sagt: ›Freiheit ist die Freiheit, zu sagen, dass zwei und zwei vier ist. Wird sie gewährt, folgt daraus alles andere.‹«
»Zwei und zwei ist vier. Das funktioniert.«
»Tatsächlich? Besteht deine Freiheit daraus, etwas zu sagen, das ich für wahr halte? Besteht deine Freiheit darin, etwas zu tun, das ich für richtig halte? Ich meine, man muss sich vorstellen,
wohin das führen könnte. Es gibt viele Leute, die von ihrem Wertesystem ebenso überzeugt sind wie von der Tatsache, dass zwei und zwei vier ist. Aber wenn sie nun unrecht hätten?«
»Man darf nicht ständig an sich selbst zweifeln, Andrea. Manchmal muss man auch bereit sein, die eigenen Argumente gelten zu lassen.«
»Nein, Todd, man darf nicht ständig an sich selbst zweifeln. Das gestehe ich dir zu. Aber wenn meine Freiheit von anderen definiert werden soll, sollen das lieber Leute sein, die nicht der festen Überzeugung sind, immer recht zu haben. Ungewissheit kann disziplinierend wirken. Nicht in dem Sinn, dass man orientierungslos oder unschlüssig ist, sondern dass man weiß, dass man nicht unfehlbar ist. Dass man für die Möglichkeit offen ist, dass die eigenen Urteile nicht definitiv und unrevidierbar sind.«
»Du bist mit einem großen Denker verwandt und redest wie einer. Vielleicht bist du Genesis.«
Sie schnaubte. »Bitte!«
»Falls es nicht Jared Rinehart ist«, fügte er trübselig hinzu.
»Glaubst du wirklich, er könnte es sein?« Andreas Blick ging zur Interstate zurück, die sich als endloses graues Asphaltband vor ihnen abspulte.
»Schon möglich.«
»Wie er vor dir geflüchtet ist, wie er dich angestarrt hat … das erinnert mich an etwas, das Paul Bancroft einmal gesagt hat. Er hat gesagt, gesunder Menschenverstand bestehe nicht daraus, zu sehen, was man selbst vor Augen hat. Er besteht darin, zu sehen, was der andere vor
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