Die Bancroft Strategie: Roman (German Edition)
einem schweren Problem rang, und war entschlossen, sich nicht unterkriegen zu lassen.
»Das ist bestimmt schlimm genug, um einen zu lähmen. Man fängt an, über diese Folgewirkungen nachzudenken, und fragt sich, ob man überhaupt noch etwas tun soll.«
»Nur leider …« Paul Bancroft sprach mit bewundernswerter intellektueller Flüssigkeit und Eleganz, als er jetzt diesen Dialog mit ihr führte. »… gibt es keinen Ausweg aus dieser Zwickmühle.«
»Weil Untätigkeit ebenfalls Konsequenzen hat«, warf Andrea ein. »Auch Nichtstun hat später Folgen.«
»Was bedeutet, dass man nie beschließen kann, sich nicht zu entschließen.«
Das war kein Sparring; es war mehr ein Tanz, dieses Vor und Zurück, dieses Hin und Her. Andrea war begeistert. Sie sprach mit einem der großen Denker der Nachkriegszeit über drängende Gegenwartsfragen und konnte sich durchaus behaupten. Oder schmeichelte sie ihm? Eine getigerte Katze, die mit einem Löwen tanzte?
Der Weg führte sie über einen kleinen Hügel, eine mit Glocken- und Butterblumen farbig getüpfelte sanfte Erhebung, und sie schwiegen eine Zeit lang. Andrea fühlte sich von einer Art Lähmung befallen. War sie jemals einem so außergewöhnlichen Menschen begegnet? Paul Bancroft war unvorstellbar reich; trotzdem machte er sich nichts aus Geld. Ihn interessierte nur, was sich mit Geld, das sehr sorgfältig eingesetzt wurde, erreichen ließ. Während ihres Studiums hatte Andrea genügend Akademiker kennengelernt, die nur danach gierten, ihre Arbeiten im richtigen Journal unterzubringen und bei den richtigen Kongressen aufs richtige Podium zu kommen – Leute, die voll hungriger Gier Jagd auf noch so welke Lorbeeren machten. Und auf der anderen Seite stand Paul Bancroft, der schon als Student bahnbrechende Arbeiten veröffentlichte. Mit Mitte zwanzig erhielt er den Ruf ans Institute of Advanced Study – einst Heimstatt von Einstein, Gödel und von Neumann und die angesehenste Forschungseinrichtung Amerikas – und ging nach einigen Jahren von dort weg, um seine ganze Arbeitskraft der Stiftung und ihrer Erweiterung zu widmen. Dieser Mann war nüchtern und großherzig zugleich: eine wirklich seltene Kombination – und deshalb umso spannender.
In seiner Gegenwart erschienen ihr alle ihre früheren Ambitionen so unbedeutend .
»Wer Gutes tun will, muss also als Erstes vermeiden, Böses zu tun«, meinte Andrea zuletzt nachdenklich. Der Weg führte wieder leicht bergab. Sie hörte ein lautes Flattern, hob den Kopf und sah einen Schwarm Wildenten unmittelbar vor ihnen auffliegen. Tatsächlich lag hinter dem Hügel ein klarer Teich mit ungefähr zweitausend Quadratmetern Fläche. In Ufernähe war das Wasser mit Seerosen bedeckt. Die Enten hielten es offenbar für besser, unter den Bäumen zu warten, bis die Menschen weitergegangen waren.
»Gott, sind sie schön«, sagte Andrea.
»Das sind sie. Und trotzdem gibt’s Männer, die sie nicht sehen können, ohne dass ihnen die Finger nach einer Schrotflinte jucken.« Paul Bancroft trat ans Ufer, hob einen flachen Kieselstein auf und ließ ihn mit jungenhafter Geschicklichkeit über die Wasseroberfläche hüpfen. Der Stein machte zwei weite Sprünge, bevor er versank. »Ich will Ihnen eine Geschichte erzählen.« Er wandte sich Andrea zu. »Haben Sie schon mal von Inver Brass gehört?«
»Inver Brass? Klingt wie ein See in Schottland.«
»So ist es. Allerdings finden Sie ihn auf keiner Karte. Aber das ist auch der Name einer Gruppe von Männern – anfangs waren es wirklich nur Männer – aus aller Welt, die dort im Jahr 1929 zusammenkamen. Der Organisator des Treffens war ein Schotte mit sehr viel Geld und Ehrgeiz, und die Eingeladenen waren Männer gleichen Kalibers. Die Gruppe war klein. Sechs Männer: alle einflussreich, alle reich, alle idealistisch, alle entschlossen, die Welt zu verbessern.«
»Oh, war das alles?«
»Das kommt Ihnen wohl zu bescheiden vor?«, fragte er im Scherz. »Aber genau dazu ist Inver Brass gegründet worden. Und von Zeit zu Zeit brachte die Gruppe hohe Geldbeträge für Not leidende Regionen auf, um das dortige Leid zu lindern und vor allem die aus Entbehrungen entstehende Gewalt einzudämmen.«
»Lange her. Eine andere Welt.« Irgendwo unter dem Laubdach
jenseits des Teichs war das leise Keckern eines Eichhörnchens zu hören.
»Tatsächlich reichte der Ehrgeiz des Gründers von Inver Brass jedoch über sein eigenes Leben hinaus. In den darauffolgenden Jahrzehnten konstituierte die
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