Die Bancroft Strategie: Roman (German Edition)
der Via Bargoni sah er eine Straßensperre. Wie hatten sie die so schnell errichten können? Belknap kniff die Augen zusammen und stellte fest, dass sie aus zwei Streifenwagen und einem tragbaren rot-weißen Scherengitter bestand. Er konnte versuchen, sie einfach zu durchbrechen …
Aber im nächsten Moment tauchte scheinbar aus dem Nichts ein neutraler Wagen der Verkehrspolizei, eines Dezernats der Polizia Municipale , hinter ihm auf: ein speziell für Verfolgungsjagden ausgerüsteter Lancia mit Drei-Liter-Turbomotor.
Belknap trat das Gaspedal wieder ganz durch und beobachtete, wie die vier Carabinieri an der Straßensperre – große Männer
mit Sonnenbrillen und vor der Brust verschränkten Armen – sich eilig in Sicherheit brachten. Dann nahm er den Gang heraus und zog die Handbremse, während er gleichzeitig das Lenkrad eine halbe Umdrehung weit nach links riss. So stand das weiße Postauto plötzlich quer auf der Straße, und die Reifen des Lancia quietschten laut, als sein Fahrer zum Straßenrand auswich, um einen Zusammenstoß zu vermeiden. Der schnelle Wagen kam mit dumpfem Aufprall an dem Hydranten zum Stehen, der seine gesamte Frontpartie eindrückte.
Jetzt ließ Belknap den Handbremshebel los, legte den ersten Gang ein, lenkte geradeaus und gab wieder Gas. Der Wagen erzitterte, und ein lautes Scheppern zeigte ihm, dass der Druck auf die Reifenflanken die Radkappen hatte wegfliegen lassen. Gleichzeitig hatte die Fliehkraft zusätzliches Öl in die Verbrennungsräume gedrückt, sodass er im Rückspiegel eine dichte schwarze Rauchwolke aus seinem Auspuff kommen sah. Jetzt war er in Gegenrichtung unterwegs, ohne zum Stehen gekommen zu sein.
Diesmal raste er entgegen der allgemeinen Fahrtrichtung die Via Bargoni entlang, die aber fast leer war. Mit ihrer Straßensperre hatte die Polizei ihm unabsichtlich einen Gefallen getan. Er bog links auf die Via Bezzi ab, ordnete sich in den Verkehr auf der Schnellstraße Viale de Trastevere ein, raste an der Autorità per la Informatica nella Pubblica Amministrazione vorbei … und hatte die Verfolger damit abgehängt.
Zehn Minuten später saß er in einem Café und bestellte endlich den Espresso, den Gianni Mattucci vorgeschlagen hatte. Er tarnte seine Erschöpfung als die Langeweile eines übersättigten Touristen und rief bei erster Gelegenheit seinen Verbindungsmann bei den Carabiniere an.
»Jetzt können wir reden«, sagte Belknap in ruhigem Gesprächston. Viele Flüchtlinge verrieten sich rasch durch ihre Aufgeregtheit; sie verhielten sich so hektisch, dass sie unweigerlich
auf sich aufmerksam machten. Diesen Fehler würde Belknap nicht machen.
»Ma che diavolo! Kannst du dir vorstellen, wie’s hier zugeht?« Mattuccis Stimme klang mehr als angespannt. »Du musst mir alles erzählen, was du weißt!«
»Nach dir«, sagte Belknap.
Kapitel sechs
»Das ist mein Ernst«, sagte Hank Sidgwick am Telefon, und Andrea Bancroft erkannte mit einem flauen Gefühl im Magen, dass er’s wirklich ernst meinte. »Ich sage dir, dieser Kerl könnte das Geld wirklich brauchen.«
Sie stellte ihn sich an seinem Schreibtisch vor. Auch mit Ende dreißig war Sidgwick noch der typische amerikanische Junge: blaue Augen, blondes Haar, dazu der Körperbau eines Mittelgewichtsringers. Seine von der Sonne geröteten Stirnfalten kündigten jedoch weniger schmeichelhafte mittlere Jahre an. Irgendwie schaffte er’s, stets nach frisch gewaschener Wäsche zu riechen. Er war ein alter Freund und Kollege bei der Coventry Equity Group. Er war mit einer ihrer Freundinnen im College ausgegangen.
»Du kennst die interessantesten Leute«, sagte sie vorsichtig. Hank war immer ein guter Gesellschafter, und sie hatte sich ursprünglich über seinen Anruf gefreut. Er war seinerseits von ihrem Bericht über die Sitzung des Stiftungsrats fasziniert gewesen. Jetzt fragte sie sich allerdings, ob es richtig war, ihm so viel zu erzählen. Hatte sie sich nicht eigentlich verpflichtet, »die Sitzungsinhalte vertraulich zu behandeln und darüber Stillschweigen zu bewahren«? Was sie wirklich enttäuschte, war Hanks unreife Reaktion auf den Test, dem Paul Bancroft sie unterziehen wollte. Hanks Frau hatte einen Freund, der ein unabhängiger Dokumentarfilmer war. »Er könnte zwanzig Millionen gut brauchen«, hatte Hank Andrea erklärt: seine erste Reaktion. Anscheinend arbeitete der Filmemacher an einem Dokumentarfilm über Performancekünstler in East Village, die auf bizarre
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