Die Bank
einmal hin. »Warum machst du es Gillian eigentlich so schwer?«
»Was glaubst du wohl?« Mein Bruder wirft wieder einen Blick über seine Schulter. »Hast du die Staubschicht auf ihrem Nachttisch im Schlafzimmer nicht gesehen?«
»Und deshalb machst du dir Gedanken? Weil sie ihren Nachttisch nicht berührt hat?«
»Es ist nicht nur der Nachttisch. Das Bad und die Schränke und die Kommoden und alles, was wir durchsucht haben. Wenn du in das Haus deines toten Vaters ziehen würdest, würdest du dann noch überall sein Zeug aufbewahren?«
»Hast du nicht gehört, wie sie gesagt hat, daß sie auf der Couch schläft? Außerdem hat Mom ein Jahr gebraucht, bis sie …«
»Hör auf, von Mom zu reden. Gillian lebt beinahe einen Monat da, und es sieht immer noch so aus, als wäre sie vor einer Woche eingezogen.«
»Aha, und deshalb arbeitet sie gegen uns?«
»Ich sage nur, daß sie ein paar wahllos zusammengesuchte Klamotten da hat und ein Dutzend pseudomoderne Bilder. Wo ist der Rest ihres Lebens? Ihre Möbel, ihre CD-Sammlung … Und du willst mir weismachen, daß sie sich in der ganzen Zeit nicht ein eigenes Fernsehgerät geleistet hat?«
»Ich will ja gar nicht behaupten, daß sie nicht ein paar Macken hat. Aber so ist das eben, wenn man sich mit einem Künstler abgibt …«
Das ist zuviel für ihn. »Tu mir einen Gefallen, nenne sie nicht eine Künstlerin! Eine Blaupause auf einen alten Mondrian zu legen macht noch keinen Künstler. Außerdem, hast du dir ihre Fingernägel angeschaut? Dieses Mädchen hat in ihrem ganzen Leben noch kein einziges Bild gemalt!«
»Du bist also plötzlich die Autorität in Kunstfragen? So was nennt man Händewaschen, Charlie. Ein verblüffendes Prinzip. Und du bist nur sauer, weil sie dich in deinem eigenen Spiel ausgetrickst hat.«
»Was soll das denn heißen?«
»Du hast gesehen, wie sie lebt. Und daß sie mit den wesentlichen Dingen des Lebens zufrieden ist. Daß sie nicht beim großen Rennen mitmacht. Kommt dir das von irgendwem bekannt vor? Selbst als sie uns zur Rede gestellt hat, ist sie nicht einfach sauer geworden, sondern hat nur durch dich hindurchgeschaut, als wenn sie vor nichts Angst hat.«
»Axtmörder haben auch vor nichts Angst.«
»Kannst du bitte mal eine Pause einlegen?« bitte ich ihn, als wir uns unserem Wohnblock nähern. »Du sagst doch immer, daß ich keinen Sinn für Abenteuer hätte. Wäre es dir lieber, wenn ich mich wieder mit jemandem wie Beth verabreden würde?«
»Verabreden? Du verabredest dich nicht mit Gillian. Du machst ihr nicht mal den Hof. Ihr seid nur zwei Leute in einer Extremsituation, die zufällig nebeneinander stehen. Es ist so, als wenn man sich bei einer Teenie-Tour verliebt. Nur ohne Songs von James Taylor.«
»Du kannst dich ruhig darüber lustig machen, aber wir wissen beide, wie sehr du es haßt, wenn jemand deine Rolle als Mr. Nonkonform in Frage stellt. Es ist derselbe Grund, aus dem du nie in eine Band eingetreten bist. Du fühlst dich sofort bedroht, wenn du auch nur einen Hauch von Wettbewerb witterst.«
»Du glaubst, es ginge um einen Wettkampf? Du kannst sie gern haben, Ollie. Sie gehört dir. Aber nur, damit du es weißt. Es geht nicht um Wettkampf, es geht um eines: teilen und erobern. Genau das macht sie.«
»Wie kannst du so was behaupten?«
Charlie wirft noch einen prüfenden Blick auf den Block, hastet dann über die Straße, stößt das Metalltor auf und eilt über den Hof vor unserer Wohnung. Wir schweigen beide, bis ich den Schlüssel umdrehe. Der Gestank des Desinfektionsmittels empfängt uns. »Immer noch besser, als bei Gillian zu bleiben«, meint Charlie, währen er die Nase rümpft.
»Du kennst sie nicht mal«, fordere ich ihn heraus.
»Was nicht bedeutet, daß sie keine Ausstrahlung hätte.« Charlie streift sich die Schuhe ab und zieht sich aus.
»Oh, entschuldige, mir war nicht klar, daß du dabei warst, deinen inneren Buddha einzuordnen. Du bist ja wie ein Wasserrutengänger, wenn es um die Ausstrahlung von Menschen geht.«
»Willst du behaupten, daß es nicht stimmt?« fragte er.
»Ich sage nur, daß ich nicht derjenige war, der seinen Lieblingsverstärker einem vollkommen fremden Menschen geliehen und dann zugesehen hat, wie er an irgendeinen miesen Pfandleiher in Staten Island verschachert wurde.«
»Erstens war er alt, und ich brauchte sowieso einen neuen. Zweitens habe ich Riesenneuigkeit für dich: Ernie Dellacosta.«
»Ernie Dellacosta?« frage ich. »Moms Freund?«
»Für
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