Die Bank
erkennen. Sie fuchtelt wild mit den Armen und versucht, die Vorderseite meiner Weste zu packen. Warum versucht sie, sie mir auszuziehen? Ich gerate in Panik und halte ihre Handgelenke fest. Gillian gräbt ihre Nägel in meine Haut. Sie gibt nicht auf und stürzt sich wieder auf mich, schlägt wie von Sinnen nach mir. Aber diesmal erkenne ich den Blick ihrer Augen.
Bitte, vertrau mir! fleht sie mich an.
Verzweifelt greift sie zu. Ein Plastikhaken öffnet sich, und der Gürtel mit den Gewichten löst sich von meiner Hüfte. Verschwommen sehe ich, wie Gillian mich an der Weste packt und nach hinten drückt. Ich folge ihrem Blick und sehe nach oben. Als ich das offene Bullauge bemerke, läßt sie mich auch schon los. Ohne die Gewichte steige ich wie ein menschlicher Korken auf. Sie korrigiert noch einmal meine Richtung, damit ich mir nicht meine Sauerstofflaschen anschlage, aber danach gleite ich unbehindert zur Oberfläche empor.
Gillian schwimmt aus Leibeskräften, um mich einzuholen, und deutet dabei auf ihren Mund. Ich soll nicht vergessen zu atmen. Ich stoße eine gewaltige Luftblase aus und starre durch das Wasser hinauf. Schwarz verwandelt sich in Dunkelblau und dann in Seegrün. Sie packt meine Hand, damit ich nicht zu schnell aufsteige. Verdirb es jetzt nicht, Oliver. Atmen, atmen, atmen.
Wir durchstoßen die Oberfläche, und die kühle Luft schlägt mir ins Gesicht. Gillian neben mir ist schon dabei, ihre Weste aufzupumpen.
»Alles klar? Kannst du atmen?« Sie schwimmt hastig an meine Seite. Sie hält mich hoch und drückt den Knopf an meinem Schlauch, so daß sich die Weste zischend aufpumpt. Ich muß würgen, aber ich erbreche nicht.
»Geht’s dir gut?« fragt sie.
Ich tanze im Wasser auf und ab und höre die Frage kaum. Langsam ordnen sich die Farben vor meinen Augen wieder. »Warum hast du mich allein gelassen?« keuche ich.
»Allein gelassen?«
»An dem Schiff? Ich habe mich umgedreht, und du warst weg.«
»Ich dachte, du hättest mich gesehen. Ich habe gewinkt, als ich weggeschwommen bin.«
»Und warum hast du mich nicht mitgenommen?«
»Aus demselben Grund, aus dem ich dich da rausholen mußte. Tauchen ist eine Sache, aber in ein Wrack einzusteigen sollte man bei seinem ersten Tauchgang nicht probieren.«
»Und das ist der wahre Grund?«
»Welchen anderen Grund sollte ich …?« Ihre Augen weiten sich, als hätte ich ihr ein Skalpell zwischen die Rippen gerammt. »Du glaubst, ich wollte dich zurücklassen. Das würde ich niemandem antun.« Ihre Stimme klingt spröde, als sie das sagt. So, als könnte sie das nicht verstehen. Sie läßt mich los und treibt langsam weg.
»Gillian …«
»Ich würde dir nie weh tun …«
»Das habe ich auch nicht gesagt, es ist nur … als du meinen wirklichen Namen gesagt hast …«
»Im Haus … Dein Bruder hat ihn gesagt!«
»Das dachte ich mir … aber als ich mich umdrehte und du weg warst … Ich habe einfach Angst bekommen.«
»Aber zu glauben, daß ich … Meine Güte! Hierher komme ich, bevor ich anfange zu malen. Wenn ich gewußt hätte, daß du mir nicht traust, hätte ich dich niemals hierher eingeladen.«
Ich packe sie an der Schulter ihrer Weste. »Wenn ich dir nicht vertrauen würde, Gillian, wäre ich niemals mitgekommen.«
Sie wirft mir einen langen Blick zu und wägt jedes einzelne Wort ab.
»Es ist mir Ernst«, sage ich. »Ich wäre nicht hier, wenn ich …«
Ihre Hand schießt wie ein Pfeil vor, packt mich am Nacken und zieht mich zu sich. Sie küßt mich weich und kühl. Ihre salzig schmeckende Zunge prickelt so gut, wie es nur sein kann. Und unter Wasser öffnet sie mit den Fingern den Reißverschluß meines Anzugs.
Während wir im Ozean auf den Wellen tanzen, weht ein kalter Wind, es ist vollkommen dunkel, und es wird ein verdammt anstrengendes Stück Arbeit, zum Boot zurückzuschwimmen. Aber mit den Neonlichtern in unserem Rücken genieße ich einfach nur den Kuß.
49. Kapitel
»Bitte sag mir, daß du einen Scherz machst«, flehte Joey, während ihr Wagen um die Ecke auf den Parkplatz der USAir schoß.
»Auf wie viele verschiedene Arten und Weisen soll ich es dir beibringen?« fragte Debbie. Als Ticketverkäuferin von USAir war Debbie an gereizte Kunden gewöhnt, doch da sie Joeys älteste Schulfreundin war, konnte sie diese spezielle Kundin nicht einfach ignorieren und in die Warteschleife setzen. »Die Computer sind ausgefallen. Das ganze System ist zusammengebrochen. Sie werden es in zehn Minuten wieder
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