Die Bank
herausfinden, wer die Gesichter auf den Fotos sind und woher sie Duckworth kennen, wird unser kleiner Ausflug noch viel ungemütlicher werden.
»Na also«, sagt Gillian und bricht das Schweigen. Sie deutet auf das Ausfahrtschild. »Wir sind fast da.«
Ich klappe die Sonnenblende herunter und mustere Charlie im Spiegel.
Er blickt nicht einmal auf. Vor drei Tagen hat er noch in sein Notizbuch gekritzelt, war aufgedreht und verwandelte jeden noch so peinlichen Moment in Strophen, Reime und mit etwas Glück sogar in eine ausgewachsene Ballade. Raub von der Realität nannte er es etwas großspurig. Aber trotz seiner Tollkühnheit mag Charlie die Gefahr nicht. Er kann nicht einmal ein einfaches Risiko ertragen. Und das Problem dürfte sein, daß er es nun allmählich kapiert.
»Es ist ganz normal, Angst zu haben«, sage ich beruhigend.
»Ich habe keine Angst«, blafft er zurück, aber ich sehe sein Spiegelbild. Er blickt nach wie vor zu Boden. Seit dreiundzwanzig Jahren hält er den Ball flach: Er wohnt zu Hause, hat die Kunsthochschule verlassen und weigert sich, eine Band aufzumachen. Er hat sogar diesen Job im Archiv der Bank angenommen. Er hat immer alles darauf geschoben, daß er eben keinen Ehrgeiz hätte. Doch wie wir von unserem Dad gelernt haben, gibt es da einen feinen Unterschied zwischen Sorglosigkeit und Furchtlosigkeit.
»Es sind nur noch ein paar Blocks«, sagt Gillian und verstummt sofort wieder.
Sie ist genauso kurz angebunden wie Charlie. Ich bin nicht sicher, ob es wegen unserer Lüge mit dem Geld ist, wegen des Verlustes ihres Dads oder nur aus Schreck über diese letzte Konfrontation am Clubhaus. Sie weiß mittlerweile, daß sie mit uns auf ein sinkendes Schiff gesprungen ist. Mit dem wir, wenn wir nicht bald eine Atempause bekommen, gemeinsam untergehen werden.
»Da ist es.« Sie biegt rechts auf einen Parkplatz ein. Die Sonne spiegelt sich gleißend in der Glasfront des vierstöckigen Hauses, aber das rotgelbe Schild über dem Eingang ist deutlich zu erkennen. Neowerks Software.
»Also Sie sind Duckys Tochter?« Der Mann schüttelt übertrieben aufgeregt mit beiden Händen Gillians Hände. Er hat einen buschigen Haarschopf und eine eng sitzende Brille mit Metallfassung. Er trägt ein schmutzigblaues Hemd, eine knitterfreie Khakihose und Ledersandalen mit Socken. Genauso muß das Ergebnis aussehen, wenn man einen fünfzigjährigen Millionär aus Palm Beach mit einem Dozenten aus Berkeley kreuzt. Trotzdem ist er der einzige, der zu uns in die Lobby gekommen ist, nachdem wir darum gebeten haben, mit einem von Duckworths alten Kollegen sprechen zu können. »Gillian, richtig?« Das fragt er nun zum dritten Mal. »Meine Güte, ich wußte nicht einmal, daß er eine Tochter hatte.«
Gillian nickt verlegen, während Charlie mir einen vielsagenden Blick zuwirft.
Wenn sie uns hätte reinlegen wollen, hätte sie im Wohnpark und im Haus leichtes Spiel gehabt , erwidere ich mit einem Blick.
Aber nicht, bevor sie ihr Geld hat , kommt die prompte Erwiderung.
»Und Sie sind auch Freunde von ihm?« erkundigt sich Mr. Haarbüschel.
»Ja … Ja.« Ich reiche ihm die Hand, die er wiederum mit beiden Händen ergreift. »W … Walter Henry.« Fast hätte ich meinen falschen Namen vergessen. Ich senke die Stimme, aber ich bemerke trotzdem, wie mich die Sekretärin hinter ihrem glänzenden Empfangstisch anstarrt. Dann senkt sie den Blick und blättert ihr Magazin weiter durch. Trotzdem fühle ich mich nicht besser. Die ganze Empfangshalle mit ihren futuristischen Chromstühlen und den Couchtischen, die wie silberne Amöben aussehen, strahlt so viel Kälte aus, daß sie den Angstfaktor einfach hochfahren muß. »Das hier ist Sonny Rollins.« Ich deute auf Charlie.
»Alec Truman.« Der Mann freut sich anscheinend, sich vorstellen zu können. »Sonny Rollins? Wie der Jazzmusiker?«
»Genau.« Charlie ist nervös. »Ganz genau wie der Jazzmusiker.«
»Hören Sie, Mister Truman«, mischt sich Gillian ein. »Ich weiß es zu schätzen, daß Sie sich die Zeit genommen haben, mit uns …«
»Das ist mir eine Ehre«, unterbricht er sie. »Ich kann Ihnen versichern, daß wir ihn hier immer noch vermissen. Tut mir nur leid, daß ich nicht lange bleiben kann. Ich stecke grade mitten in einer Virusjagd, und …«
»Eigentlich haben wir auch nur eine kurze Frage, bei der Sie uns vielleicht helfen könnten«, unterbreche ich ihn. Ich greife in meine Jackentasche und ziehe den Fotostreifen heraus. »Kommt Ihnen eines
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