Die Bank
nächsten Ecke hatte ich ihn gesehen. Ich kann das Wasser aus dem Sprinkler immer noch gegen das Glas hämmern hören. Das Geräusch erstickt unsere eigenen Schritte und auch die Geräusche der Personen, die da auf uns warten.
»Laß mich zuerst gehen«, flüstere ich.
Mein Bruder schüttelt den Kopf und schiebt mich zurück. Er hat genug davon, daß ich den Beschützer spiele. Aber das kümmert mich nicht. Ich drücke mich neben ihn, suche auf dem Boden nach Schatten und schiebe den Kopf um die Ecke. Ein Springseil liegt verlassen auf dem Rasen, direkt neben einem schlaffen Ball. Ich sehe zwar den Hof und die Bäume, aber ich kann mich kaum denken hören. Das Wasser des Sprinklers klatscht immer noch gegen die Scheiben. Charlies Atem geht stoßweise. Niemand ist zu sehen, aber ich kann das Gefühl nicht abschütteln, daß irgendwas nicht stimmt. Wir haben jedoch keine Wahl. Es ist der einzige Ausweg. Charlie hebt seine Faust. Er zählt es an den Fingern ab und nickt mir zu. Eins … zwei …
Wir stürmen so schnell wie möglich vor und ducken uns unter den Sprinkler. Mein Herz hämmert, und ich sehe nur die Straße vor mir … Wir sind fast da … Das Metalltor ist schon zu sehen …
»Wohin willst du, Aschenputtel? Kommst du zu spät zum Ball?« fragt eine Stimme von der Eingangstreppe.
Wir wirbeln herum und bleiben stehen. Ich hebe die Pistole und Charlie die Machete.
»Immer langsam, Cowboy«, sagt die Frau, die da steht, und hebt die Hände. Von wegen Secret Service. Es ist die Frau aus Duckworths Haus.
»Was wollen Sie hier?« fragt Charlie.
Sie antwortet nicht, sondern blickt auf die Waffe. »Wollen Sie mir vielleicht sagen, wer Sie wirklich sind?«
»Das geht Sie nichts an«, erwidere ich.
»Warum haben Sie nach ihm gefragt?«
»Also kennen Sie Duckworth?« fahre ich sie an.
»Ich habe Ihnen eine Frage gestellt.«
»Ich auch!« Ich mache mit der Waffe eine Bewegung, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Sie kennt uns nicht gut genug, um entscheiden zu können, ob es ein Bluff ist oder nicht.
»Woher kennen Sie ihn?« fragt Charlie.
Sie senkt die Hände, starrt mich aber unverwandt an. »Das wissen Sie wirklich nicht?« fragt sie. »Marty Duckworth war mein Vater.«
34. Kapitel
Maggie Caruso schlief nie lange. Selbst als sie noch jung war, gelang es ihr selten, mehr als fünf Stunden fest zu schlafen. Mit zunehmendem Alter und als die Banken anfingen, am Ende des Monats anzurufen, war sie froh, wenn sie wenigstens drei Stunden Schlaf am Stück bekam. Und letzte Nacht, nachdem ihre Söhne verschwunden waren, saß sie in ihrem Bett, zerrte und zupfte an den Laken und schaffte gerade mal zwei Stunden. Genau darauf hatte Gallo spekuliert, als er sie am Morgen wieder in sein Büro holte.
»Ich dachte, Sie möchten vielleicht etwas Kaffee«, sagte Gallo, nachdem er das helle weiße Verhörzimmer betreten hatte. Im Gegensatz zu gestern war DeSanctis nicht bei ihm. Gallo trug seinen üblichen schlecht sitzenden grauen Anzug und hatte ein verblüffend herzliches Lächeln aufgesetzt. Er reichte Maggie den Kaffee mit beiden Händen. »Vorsicht, er ist heiß.« Er klang tatsächlich besorgt.
»Danke«, gab Maggie zurück. Sie beobachtete ihn aufmerksam und registrierte sein neues Verhalten.
»Wie fühlen Sie sich?« fragte Gallo, als er sich einen Stuhl heranzog. Wie zuvor setzte er sich auch diesmal rechts von ihr hin.
»Mir geht’s gut«, gab Maggie zurück. Hoffentlich dauerte es nicht so lange. »Gibt es etwas, womit ich Ihnen helfen kann?«
»Das gibt es tatsächlich …« Er ließ den Satz unvollendet. Es war eine Taktik, die er gleich am Anfang im Secret Service gelernt hatte. Wenn es darum ging, die Leute zum Reden zu bringen, gab es keine bessere Taktik, als zu schweigen.
»Agent Gallo, wenn Sie immer noch nach Charlie und Oliver suchen, dann sollten Sie wissen, daß keiner von beiden gestern nach Hause gekommen ist.«
»Wirklich nicht?« fragte Gallo. »Sie wissen also immer noch nicht, wo sie sind?«
Maggie nickte.
»Und Sie wissen immer noch nicht, ob es ihnen gut geht?«
»Ich habe keine Ahnung«, antwortete sie rasch.
Gallo kreuzte die Arme und ließ erneut das Schweigen wirken.
»Was denn?« fragte Maggie. »Glauben Sie mir nicht?«
»Maggie, haben sich Oliver und Charlie gestern nacht mit Ihnen in Verbindung gesetzt?«
Maggie machte eine winzige Pause, bevor sie antwortete. »Ich weiß nicht, was Sie …«
»Lügen Sie mich nicht an!« drohte Gallo. Seine Augen verengten sich,
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