Die Bank
er seine Medikamente nicht regelmäßig einnimmt.«
»Mist«, sagte Joey und schüttelte den Kopf. »Glaubst du, daß er sie bei sich hat?«
»Die beiden sind direkt von der Grand Central losgefahren. Ich glaube nicht mal, daß sie ein zweites paar Socken dabei hatten, geschweige denn eine Dosis Mexiletin.«
»Und wie lange kann er ohne das Medikament überleben?«
»Schwer zu sagen. Der Arzt meinte, etwa drei bis vier Tage unter perfekten Bedingungen. Weniger, wenn er unter Streß steht.«
»Du meinst, wenn er auf der Flucht ist und um sein Leben kämpft?«
»Genau das«, bestätigte Noreen. »Von jetzt an tickt Charlies Uhr. Und wenn wir ihn nicht bald finden, dann kriegen die Burschen ganz andere Probleme als das Geld.«
35. Kapitel
»Er ist Ihr Vater?« keucht Charlie.
»Also lebt er noch?« frage ich nach.
Die Frau sieht uns beide an, aber ihr Blick bleibt an mir hängen. »Er ist seit sechs Monaten tot«, sagt sie. Für meinen Geschmack ist sie ein wenig zu ruhig. »Was wollten Sie von ihm?« Ihre Stimme klingt hoch, aber kräftig. Und kein bißchen eingeschüchtert. Ich mache einen Schritt auf sie zu, und sie weicht nicht zurück.
»Warum haben Sie uns angelogen?« frage ich.
Zu unserer Überraschung lächelt sie uns an und streicht mit dem Fuß über die Grashalme. Dabei fällt mir zum ersten Mal auf, daß sie barfuß ist. »Komisch, ich wollte Sie gerade dasselbe fragen.«
»Sie hätten sagen können, daß Sie seine Tochter sind«, meinte Charlie anklagend.
»Und Sie hätten gleich sagen können, warum Sie nach ihm suchen.«
Ich kaue auf meiner Unterlippe. Ich erkenne einen gleichwertigen Gegner, wenn ich ihn sehe. Wenn wir Informationen wollen, müssen wir auch welche herausrücken. »Walter Harvey«, sage ich meinen falschen Namen und reiche ihr die Hand.
»Gillian Duckworth.« Sie schüttelt sie.
Auf der anderen Straßenseite macht der Briefträger seine morgendliche Runde. Charlie versteckt seine Machete hinter dem Rücken und gibt mir ein Handzeichen. »Vielleicht sollten wir die Sachen hineinbringen …«
»Ja … Keine schlechte Idee.« Ich stopfe die Waffe wieder in meinen Hosenbund. »Kommen Sie doch auf eine Tasse Kaffee mit.«
»Zu euch beiden? Nachdem ihr mich mit einer Pistole und einem Piratenmesser bedroht habt? Sehe ich aus, als brenne ich darauf, mein Foto als Vermißte auf einer Milchtüte zu sehen?« Sie dreht sich um und geht weg. Charlie sieht mich bedeutungsvoll an. Sie ist alles, was wir haben.
»Bitte warten Sie!« Ich greife nach ihrem Arm.
Sie zieht ihn weg, aber ihre Stimme klingt vollkommen ruhig. »Nett, dich kennengelernt zu haben, Walter. Schönen Tag noch.«
»Gillian …!«
»Wir können es erklären«, ruft Charlie ihr hinterher.
Sie verlangsamt nicht einmal ihre Schritte. Der Postbote verschwindet in der nächsten Tür. Das ist unsere letzte Chance. Charlie weiß, daß wir die Informationen brauchen, und greift zur Atombombe.
»Wir glauben, daß Ihr Vater ermordet worden ist.«
Gillian bleibt wie angewurzelt stehen und dreht sich um. Sie legt den Kopf auf die Seite und wischt sich drei Löckchen aus dem Gesicht.
»Geben Sie uns fünf Minuten«, flehe ich sie an. »Danach können Sie immer noch verschwinden.« Ich schlage gewissermaßen eine Seite aus Lapidus’ Buch für störrische Verhandlungspartner auf und stürme zur Eingangstür, ohne ihr die Chance zu geben, nein zu sagen. Gillian ist direkt hinter mir.
Als ich in unser Apartment trete, warte ich darauf, daß sie einen Spruch oder eine herablassende Bemerkung macht. Die tristen Wände, die mit Papier verklebten Fenster. Sie muß doch was sagen. Tut sie aber nicht. Wie eine neugierige Katze dreht sie eine kurze Runde im Wohnraum. Ihre dünnen Arme schwingen an ihrer Seite, und mit den Fingern zupft sie an den ausgefransten Taschen ihrer verblichenen Jeans. Ich biete ihr den Küchenklappstuhl neben mir an. Sie kommt auch zu mir, doch statt sich auf den Stuhl zu setzen, hüpft sie auf den weißen Resopaltresen. Ihre nackten Füße baumeln herunter. Mein Blick klebt eine Sekunde zu lange darauf, und Charlie räuspert sich. Bitte , sagt mir sein Blick. Tu nicht so, als wärst du noch nie in einer Damenumkleidekabine gewesen.
Ich schüttle den Kopf und wende mich an Gillian. »Also, Sie wollten uns von Ihrem Dad erzählen …« eröffne ich.
»Eigentlich wollte ich euch gar nichts erzählen«, erwidert sie. »Ich will nur wissen, warum ihr glaubt, daß er ermordet worden ist.«
Ich sehe
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