Die Bankerin
des Todes seinen Körper verlassen hatten. Der Mund war halb geöffnet, die Augen starrten zur Decke, mit dem Unterschied, daß es keine Augen mehr waren, sondern nur noch leere, schwarze Höhlen. Der Schnitt zog sich von einem Ohr zum anderen, der Teppichboden um seinen Kopf herum war von jetzt getrocknetem, fast schwarzem Blut durchtränkt. Es hatte den Tag über immer wieder kurze Schauer gegeben, auch jetzt regnete es wieder, der Raum war in ein diffuses Licht getaucht. Der Tote trug am linken Handgelenk eine Rolex und einen klotzigen Opalring. Die rechte Hand war am Gelenk abgetrennt und lag genau in der Mitte des Bettes, das unberührt war. Der Mann war laut Angaben im Paß achtundvierzig Jahre alt, hatte dunkles, schütteres, leicht gewelltes Haar und einen Schnurrbart. Schmale Lippen und außergewöhnlich kleine Ohren. Neben dem Bett stand ein schwarzer Aktenkoffer und eine Tüte von einem Geschäft für exklusive Herrenkleidung. Auf dem Nachtschrank eine Brieftasche und ein Portemonnaie aus Krokoleder, darin mehrere Kreditkarten sowie siebenhundertfünfzig Mark in bar.
Kommissar Henning ließ seinen Blick durch das Zimmer schweifen, er konnte nirgends Spuren entdecken, die auf einen Kampf hindeuteten oder daß dieser Martinez sich in irgendeiner Weise gewehrt hatte. Es schien eher, als hätte der Tod ihn völlig unvorbereitet ereilt, als hätte er nicht damit gerechnet, daß sein letzter Besucher auch sein letzter sein würde.
»Er hat sich nicht gewehrt«, sagte Henning leise, worauf sein Kollege Schmidt meinte: »Was, wenn er geschlafen hat und sich nicht wehren konnte?«
»Legen Sie sich vielleicht nackt auf den Fußboden, wenn Sie schlafen möchten und ein großes, bequemes Bett im Zimmer steht? Das Bett ist nicht angerührt worden.«
Schmidt schoß die Röte ins Gesicht, er räusperte sich verlegen. »’tschuldigung, hab’ noch nicht so genau hingeschaut.« Es klopfte an die Tür, einer der beiden Streifenbeamten, die als erste am Tatort gewesen waren, öffnete. Die Kollegen von der Spurensicherung sowie der Arzt und ein Fotograf waren eingetroffen.
»Wie lange ist er tot?« fragte Henning den Arzt, der noch vor dem Toten stand, seine Tasche auf den Boden stellte, in die Hocke ging, sie öffnete, die Gummihandschuhe herausholte und überstreifte.
»Vielleicht lassen Sie mir ein paar Minuten, damit ich ihn mir in aller Ruhe ansehen kann. Ich kann keine Ferndiagnosen stellen«, erwiderte der Arzt kühl. Er tastete kurz die Haut des Toten ab, holte ein Thermometer aus der Tasche, maß die Temperatur des Leichnams rektal. Nach einer Minute zog er das Thermometer heraus. »Siebenundzwanzig acht.« Er drehte den Leichnam auf den Bauch, begutachtete den Rücken, nickte kaum merklich, drehte ihn wieder zurück und sagte: »Die Leichenstarre ist vollständig ausgebildet, ebenso die Leichenflecken, die nicht mehr verlagerbar sind. Es ist ziemlich warm hier im Raum, ich schätze etwa zwanzig bis zweiundzwanzig Grad … Ich würde sagen, über den Daumen gepeilt ist der Tod vor etwa neun bis zehn Stunden eingetreten. Vorausgesetzt wir halten uns an die Methode nach Henske, nach der die Körpertemperatur bei den hier vorliegenden Verhältnissen um zirka ein Grad pro Stunde sinkt. Es kann allerdings auch sein, daß er schon fünfzehn bis zwanzig Stunden tot ist. Genau können wir das erst nach der Autopsie sagen.«
Henning nickte nur, er hielt noch immer den Paß in der Hand, schlug damit ein paarmal auf die Handfläche seiner Linken und sagte, an seinen Kollegen Schmidt gewandt: »Schicken Sie das Bild durch den Fahndungscomputer. Vielleicht haben wir es ja mit einem alten Bekannten zu tun. Auch wenn mir das Foto im Moment nicht viel sagt.«
Der Arzt beugte sich tiefer über den Toten, runzelte die Stirn, tastete über die Unterseiten der Ohren und ein paar andere Stellen im Gesicht und blickte auf. »Der Mann ist operiert worden. Ich würde sagen, es sieht ganz so aus, als hätte er sein Äußeres verändert. Er hat winzige, kaum sichtbare Narben etwas unterhalb beider Ohren, an der Nase und unterhalb der Augen. Außerdem ist sein Haar fülliger gemacht worden …«
»Fülliger?« fragte Henning zweifelnd. »Er hat doch nicht sehr viel …«
»Er hat vorher wahrscheinlich bis auf die Seiten eine Glatze gehabt.«
»Aber er hat einen Paß aus Paraguay«, sagte Henning mehr zu sich selbst. »Und die stellen gegen gutes Geld … falsche Pässe aus. Scheiße! Wir brauchen die Fingerabdrücke.«
Einer der
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