Die Bankerin
doch schon, daß er allein gekommen ist.«
»Und keine Frau und auch kein unbekannter Mann ist nach Martinez an Ihnen vorbeigekommen?«
»Nein, so glauben Sie mir doch!«
»Gibt es einen Eingang, von dem aus man in die einzelnen Stockwerke gelangt, ohne an Ihnen vorbei zu müssen?«
»Klar gibt’s den, aber der ist verschlossen, das ist der Personaleingang. Da kommt man nur mit einem Schlüssel rein …«
»Und wer alles hat so einen Schlüssel?«
»Keine Ahnung.«
»Wie viele ungefähr?«
»Zehn, fünfzehn …«
»Oder zwanzig oder dreißig! Oh Scheiße!« Henning verdrehte die Augen. »Und wer weiß, wer alles einen Schlüssel hat?«
»Der Geschäftsführer und … na ja, es gibt eine Liste, in der jeder vermerkt ist, der –«
»Gut, dann machen Sie mir eine Kopie von der Liste, und zwar sofort!«
»Aber …«
»Kein aber! Hier in Ihrem Hotel ist vor ein paar Stunden jemand auf eine ziemlich üble Weise umgebracht oder besser gesagt hingerichtet worden, und ich will wissen, von wem! Und wenn Sie niemand Unbekanntes nach Martinez das Hotel haben betreten sehen, dann muß jemand durch die Hintertür hier reingekommen sein. Kapiert?!«
»Moment, bitte, ich werde mit meinem Kollegen sprechen. Er weiß, wo die Liste ist.«
Henning lehnte sich mit dem Rücken an den Empfangstresen und schaute in die Halle. Es herrschte hektisches Treiben. Jetzt am Abend, um diese Zeit, dachte er, schien es beinahe unmöglich, Gäste von Nichtgästen zu unterscheiden, jetzt wäre es ein leichtes, unerkannt ins Hotel zu gelangen. Moment, dachte er und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Was, wenn der- oder diejenige schon lange vorherauf dem Zimmer war, bevor Martinez zurückkehrte? Oder wenn er von jemandem getötet wurde, der … als Gast hier im Hotel eingetragen war?
Der Portier kam zurück, hielt die Liste in der Hand. Es waren vierunddreißig Namen. Henning warf einen kurzen Blick darauf, faltete sie zusammen und steckte sie in die Tasche.
»Danke«, sagte er und ging zum Auto. Er fuhr zurück ins Präsidium, stellte den Wagen auf dem Präsidiumshof ab, ließ ihn unverschlossen stehen.
Henning wurde bereits von Schmidt erwartet. Er saß am Schreibtisch, eine Zigarette glimmte im Aschenbecher vor sich hin, Schmidt hielt einen Becher Kaffee in der Hand, deutete auf den Paß, nahm einen Schluck, stellte den Becher ab, beugte sich nach vorn, reichte ihn zusammen mit einem Computerausdruck Henning.
»Sein Foto«, sagte er, »konnte nicht identifiziert werden. Aber seine Fingerabdrücke. Hier, das wird Sie überraschen.« Er hielt Henning ein Bild hin, auf dem ein Mann abgebildet war, der seit einem Jahr auf der Fahndungsliste stand. Henning hielt es eine Weile in der Hand, setzte sich, betrachtete es ausgiebig, holte aus seiner Brusttasche eine Schachtel Marlboro und legte sie auf den Tisch.
»Das ist ein Hammer, weiß Gott, das ist es! Aber warum ist er nach Deutschland zurückgekehrt? Und wer hat ihn so zugerichtet? Und vor allem … warum ist er so zugerichtet worden?«
»Sie meinen, das mit der Hand?«
»Jemand hat ihm die Hand abgehackt und sie genau in die Mitte des Bettes gelegt. Weiß der Geier, was das zu bedeuten hat, aber es muß eine Bedeutung haben. Und warum sind ihm die Augen ausgestochen worden? Und warum hat kein Mensch auch nur das geringste bemerkt?«
»Ob es mit der alten Sache zusammenhängt?«
»Vielleicht …« Er griff zum Telefon, wählte eine Nummer, niemand meldete sich. Er legte wieder auf und sah seinenKollegen an. »Übrigens, absolute Nachrichtensperre. Es darf vorläufig kein Wort über die Sache an die Presse dringen. Am besten fahren Sie gleich noch mal ins Hotel und instruieren auch das Personal dort.«
Schmidt nickte nur, verschwand aus dem Zimmer, schloß die Tür leise hinter sich. Kommissar Henning drehte sich zum Fenster, zündete sich eine Zigarette an. Dachte nach.
Freitag, 19.30 Uhr
Mittags um drei legte sich David für zwei Stunden ins Bett, schlief nicht, ruhte nur aus. Duschte, zog frische Unterwäsche an, aß zu Abend, eine Kleinigkeit nur, denn Dr. Vabochon hatte gesagt, daß er bei ihr zu essen bekäme. Und zu trinken. Und aller Wahrscheinlichkeit nach sie selbst.
»Wann wirst du zu Hause sein?« fragte Johanna beim vorgezogenen Abendbrot, das sie allein in der Küche einnahmen. Salamibrot, eine Tomate, Pfefferminztee. Alexander und Nathalie saßen im Wohnzimmer vor dem Fernsehapparat, sahen sich einen Trickfilm an, bei dem Alexander Schulaufgaben machte.
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