Die Befreier von Canea
eine seiner Pranken. »Guten Morgen«, brummte er zur Antwort. Er packte eine geflochtene Lederschnur, die von der Satteldecke herabhing, welche den Rücken des Garganten bedeckte, und schwang sich nach unten wie ein Junge vom Apfelbaum. »Isana und Narbengesicht«, sagte er und nickte Isana und Araris zu. Er blickte Araris an. »Du hast das Haar geschnitten. Siehst ganz anders aus.«
Araris neigte den Kopf. »Ein bisschen, ja. Aber nicht sehr viel.«
Doroga nickte mit Bedacht und betrachtete Aria einen Moment lang. »Die da kenne ich nicht.«
Isana spürte, wie Aria erstarrte. Dann antwortete sie in kaltem Ton: »Mein älterer Bruder starb in der Ersten Schlacht von Calderon. Er starb, als er Gaius Septimus vor deinem Volk verteidigte.«
Isana konnte sich gerade noch beherrschen, um nicht empört nach Luft zu schnappen, und sie wandte sich halb Aria zu: »Doroga ist ein Freund …«
Doroga schnaubte und hob eine Hand, um Isana zu unterbrechen. Vollkommen gelassen sah er Aria an. »Mein Vater, drei Brüder, ein halbes Dutzend Vettern, meine Mutter, ihre beiden Schwestern und mein bester Freund sind dort auch gestorben«, antwortete er mit fester Stimme. »Alle von uns haben die Schlacht auf dem Feld der Narren verloren, Frau mit der kalten Stimme.«
»Also ist das alles vergessen?«, fauchte Aria. »Meinst du das?«
»Es hat keinen Sinn, alte Wunden wieder aufzureißen.« Er stellte sich vor Aria, die genauso groß war wie er, und blickte ihr in die Augen. Mit leisem Brummen, ruhig und fest und nicht im Mindesten nachgiebig, sagte er: »Diese Schlacht endete vor über zwanzig Jahren. Heute findet tief im Süden eine Schlacht statt, wo viele gute Aleraner, darunter auch dein eigener Mann, gegen die Vord kämpfen. Falls du es schon wieder vergessen hast, wir sind hier, um Frieden zu schließen.« Doroga blitzte sie mit den Augen an, und obwohl seine Miene sich nicht veränderte, gab der riesige Gargant hinter ihm plötzlich ein warnendes Knurren von sich, das die Schneeflocken vom Boden aufstieben ließ. »Lass gut sein, Aleranerin.«
Die Hohe Fürstin von Placida kniff die Augen zusammen, und Isana spürte ihre Anspannung und ihren Zorn deutlich. Sie hielt den Atem an und wagte kaum, in der ohnehin schon schwierigen Situation noch etwas zu sagen. Es fehlte nicht viel; wenn es so weiterging, dann würde Aria ihren Vermittler rösten oder der riesige Marat ihr den schlanken Hals brechen. Zu spät erkannte Isana, dass Doroga absichtlich so dicht an Aria herangetreten war, damit sie ihr langes Duellschwert, das sie an der Hüfte trug, nicht zum Einsatz bringen konnte. Dumm war der Marat jedenfalls nicht.
Arias Hand zuckte in Richtung des Hefts, dann legte sie beide Hände langsam auf die Oberschenkel und strich ihr Kleid glatt. Sie nickte Doroga knapp zu, ein wortloses Zugeständnis, drehte sich um und ging ein paar Schritte in Richtung Schildmauer.
Isana schaute ihr hinterher, noch immer verwundert über das Ungestüm der Fürstin. Sicherlich hatte Aria die Anwesenheit des Marat nicht überrascht. Hatte sie der Anblick des Mannes einfach überwältigt? Die Hohen Fürsten und Fürstinnen von Alera konnten im Allgemeinen ihre Gefühle meisterhaft verbergen – und trotzdem wäre Aria beinahe auf Doroga losgegangen. Isana war sicher, wenn der Marat irgendein Anzeichen von Gewaltbereitschaft gezeigt hätte und der Bedrohung nicht einfach nur entgegengetreten wäre, hätte es einen Kampf gegeben.
Sie entschied sich, den Vorfall als beendet zu betrachten. Außerdem wäre es wohl nicht schlecht, darüber hinwegzusehen, dass der Schnee auf Armeslänge um Arias Füße herum geschmolzen war.
Isana wandte sich Doroga zu, der nachdenklich die Hohe Fürstin gemustert hatte. Ihre Blicke trafen sich, und sie spürte deutlich seine Verwirrung und Sorge. Auch er wunderte sich über Arias Reaktion.
Nein, dachte Isana. Der Barbarenhäuptling war ganz bestimmt nicht dumm.
Sie lächelte ihn an und deutete zur Sonne. »Wir stehen vor dem Einen, Doroga. Wann kommen die Eismenschen?«
Doroga lehnte sich beiläufig auf seinen Stock und knurrte: »Die Gadrim-ha waren bereits vor uns allen hier.« Er rief etwas in einer Sprache, die sie nicht verstand.
Isana riss die Augen auf, als ein halbes Dutzend Schneehügel innerhalb von dreißig Fuß Umkreis erzitterten und sich daraus Eismenschen mit weißem Fell erhoben. Sie standen einfach auf wie Männer, die ein Nickerchen gehalten haben, und schüttelten den Pulverschnee aus dem
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