Die Befreier von Canea
eine Speisekammer. Eine andere Beschreibung dafür fiel Amara nicht ein.
Das Kroatsch war hier tiefer und erhob sich in trüben Wirbeln einen Fuß über den Steinboden, an manchen Stellen sogar mehr.
Menschen – Leichen – waren darin eingeschlossen. Amara konnte ein paar Einzelheiten erkennen. Das Kroatsch war durchscheinend, aber die Formen darunter blieben schemenhaft und gnädigerweise undeutlich. Die Körper waren nicht im Tode verzerrt, sondern lagen friedlich da, als wären die Opfer im Schlaf gestorben und in wachsartige Grüfte gelegt worden. Manche der undeutlichsten Gestalten, die am tiefsten ins Kroatsch eingeschlossen waren, konnten keine Leichen sein, denn sie waren zu dünn. Aber möglicherweise handelte es sich, so dachte Amara, um Skelette, wo das Kroatsch bereits das Fleisch von den Knochen gefressen hatte.
Nur drei hatten an der Wand gestanden und waren in dieser Haltung vom Kroatsch eingeschlossen worden. Es waren zwei Männer und eine Frau, deren Glieder von einer wachsartigen Masse gefesselt waren, und ihre Leiber waren vor dem Tod übel behandelt worden.
Man hatte sie ganz eindeutig gefoltert.
Rasch sah sie sich die drei Leichen genauer an. Sie trugen nicht die Gewänder von Wehrhöfern, sondern Grün und Braun, die Mäntel und Lederkleidung von Waldläufern, so wie sie und ihr Mann. Wenn sie nun in Betracht zog, dass ihre Gesichter schmerzverzerrt gewesen waren, als sie starben …
Ihr lief ein Schauder den Rücken hinunter.
Sie kannte alle drei. Mit der jungen Frau, Anna, war sie an der Akademie gewesen. Sie stammte von einem Wehrhof nahe Forcia. Zusammen mit Anna hatte Amara die Grundausbildung zum Kursor hinter sich gebracht, ehe sie an die Akademie und bei Fidelias in die Lehre gegangen war.
Die Vord hatten drei Kursoren gefangen genommen, gefoltert und ermordet, zwei Männer und eine Frau, die wegen ihrer Eignung, sich unsichtbar zu machen, für diesen Auftrag ausgesucht worden waren. Aber es hatte ihnen nicht viel genützt.
Ihr wurde übel, und sie wandte den Blick ab. Eine Sekunde musste sie mit ihrem Magen kämpfen. Dann zwang sie sich, noch einmal hinzuschauen und nachzudenken.
Zwei Spinnen, so fiel ihr nun auf, beschäftigten sich damit, eine Reihe von Schäden im Kroatsch zu reparieren: Fußabdrücke. Menschliche Fußabdrücke. Sie führten von der Tür zu den toten Spionen.
Die Vord kannten kein Mitleid, aber auch keinen Hass. Keiner der anderen Körper zeigte Spuren von Folter. Die waren einfach … verzehrt worden.
Die Folterungen hatten Aleraner vorgenommen, wurde ihr klar.
Aleraner hatten andere Aleraner gequält.
Vor ihrem inneren Auge sah Amara die Aleraner in der Umgebung der Vord-Königin bei der Schlacht vor Ceres, und wieder durchfuhr sie ein Schauer – diesmal jedoch vor Zorn.
Sie spürte ihren Gemahl neben sich, der sich an ihr vorbeischob, um ebenfalls einen Blick in die Scheune zu werfen. Dann bemerkte sie, wie er zusammenzuckte, als er zu der gleichen Erkenntnis kam wie sie, und seine Finger knackten leise, als er die Hand vor Wut zur Faust ballte.
Amara berührte ihn am Handgelenk und unterdrückte ihren Zorn. Die beiden drehten sich um und verließen quälend langsam das Kroatsch und schließlich den Wehrhof. Sie zogen sich die Kroatsch -Schuhe aus und wanderten wie Geister durch das Land. Ohne ein Wort trat Amara zurück und überließ ihrem Gemahl die Führung.
Wer auch immer die Spione gefoltert hatte, musste dies nur Stunden vor Amaras Eintreffen getan haben. Wer die Täter auch sein mochten, sie waren offensichtlich in irgendeiner Weise mit den Vord verbunden und mit den Aleranern, die ihnen halfen – der Quelle der Elementarkräfte der Vord. Deshalb waren sie eine Spur, der Bernard und Amara folgen mussten. Und aller Wahrscheinlichkeit nach hatten sie auch eine Fährte hinterlassen.
Bernard übernahm die Führung. Er würde diese Fährte finden.
Es dauerte fast zwei Tage, in denen sie unermüdlich und mit schmerzlicher Vorsicht weiterzogen, bis sie die Verräter einholten, die für die Folterung der Spione verantwortlich waren. Ihre Spur führte zurück nach Ceres.
Die Vord hatten die Stadt eingenommen.
Innerhalb der Mauern wuchs das Kroatsch . Als die Sonne unterging, legte sich ein dumpfes grünes Licht über den grauweißen Stein der Stadt, die geisterhaft durchscheinend aussah, wie Jade, welche von innen erleuchtet wird. Wenn man vor der Stadt stand, herrschte im Inneren gespenstische Stille. Kein Wächter sprach sie an.
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