Die Befreier von Canea
Mühe ein Grinsen unterdrücken.
Ehren hatte sich kaum gesetzt, als eine Trompete die Fanfare eines Legionshauptmanns blies – und nicht die Töne der Hymne des Ersten Fürsten. Im Senatorium erhob sich Gemurmel, und die Sitzenden erhoben sich alle gemeinsam von ihren Plätzen – der Erste Fürst befolgte dieses Protokoll lediglich in Kriegszeiten.
Gaius Sextus, Erster Fürst von Alera, trat bei den letzten Tönen der Fanfare ein und wurde von einem halben Dutzend Ritter Ferrum in den roten Mänteln der Kronwache eskortiert. Der kräftig gebaute Herrscher von Alera sah aus wie ein Mann in den besten Jahren, nicht wie ein Achtzigjähriger – wenn man von seinem silbergrauen Haar absah, das, wenn Isana sich nicht täuschte, noch dünner geworden war, als sie es von ihrer letzten Begegnung vor einigen Monaten in Erinnerung hatte.
Der Erste Fürst bewegte sich wie ein viel jüngerer Mann und stieg flotten Schritts die Stufen vom Eingang des Senatoriums herab. Er ging zwischen den Logen der Fürsten Phrygius und Antillus hindurch, deren Eigentümer beide nicht anwesend waren. Allerdings war die Fürstin Phrygia da, und ein einäugiger Fürst, der den Siegeldolch von Antillus in einer Schärpe über der schwachen Brust trug. Er vertrat offensichtlich seinen Hohen Fürsten. Das Gemurmel schwoll zu einer leisen Woge an, als Gaius unten ankam.
»Cives!«, sagte der Erste Fürst und hob die Hände. Seine Stimme, die von den Elementarkräften des Gebäudes verstärkt wurde, hallte durch den Abend. »Cives, ich bitte euch.«
Der Sprecher des Senates – Isana war nicht sicher, wer diesen Posten in diesem Jahr innehatte, jemand aus Parcia, meinte sie – trat rasch aufs Podium. »Ruhe! Ruhe im Senatorium!« Seine Stimme donnerte durch das riesige Theater wie die eines Titans und übertönte das Gemurmel der versammelten Civitas. Isana schoss der Gedanke durch den Kopf, dass der Mann vermutlich Vergnügen daran hatte. Denn wie oft im Leben bot sich schon die in diesem Fall sogar gerechtfertigte Gelegenheit, die halbe Civitas des Reiches niederzubrüllen? Sie konnte sich an Tage erinnern, an denen es ihr nicht nur Vergnügen bereitet hätte.
Nachdem der Lärm abgeebbt war, nickte der Sprecher und sagte: »Wir heißen euch zu dieser dringlichen Versammlung des Senats willkommen, die auf Bitte des Ersten Fürsten einberufen wurde. Ich werde nun das Podium Gaius Sextus, dem Ersten Fürsten von Alera, überlassen, damit er den ehrwürdigen Mitgliedern dieser Versammlung Tatsachen von äußerster Wichtigkeit für das Reich unterbreiten kann.«
Noch bevor er ausgeredet hatte, war Gaius auf das Podium getreten und trat zielstrebig an die Stelle, an welcher der Sprecher gerade noch gestanden hatte. Diese Geste hatte nichts Abfälliges oder Stolzes an sich, und der Sprecher reagierte auch nicht verärgert. Trotzdem verdrängte Gaius den Mann einfach, so wie ein großer Hund einen weit kleineren vom Fressnapf vertreibt, und er bewegte sich dabei so selbstverständlich und natürlich, als wäre die Welt eben auf diese Weise geordnet – und eigentlich stimmte das ja auch. Isana schüttelte den Kopf über die Überheblichkeit dieses Mannes und staunte über seine Beherrschtheit. Gaius setzte nie mehr von seiner beträchtlichen Kraft an Persönlichkeit, Willen oder Elementarkräften ein, als unbedingt erforderlich war.
Gewiss würde er jedoch ebenso niemals auf irgendwen Rücksicht nehmen, wenn er etwas für »erforderlich« erachtete. Gleichgültig wie viele Unschuldige dafür mit dem Leben büßen müssten.
Isana presste die Lippen zusammen und wollte nicht daran denken, wie die Rebellion von Fürst Kalarus geendet hatte – und mit ihm seine Stadt und deren Bewohner und das Land der Umgebung mitsamt allen Lebewesen darauf. Es war nicht der rechte Zeitpunkt, erneut über die Taten von Gaius Sextus nachzudenken oder sie als kriegerische oder notwendige oder mörderische Handlungen zu verurteilen.
»Cives«, begann er mit ernster, voller Stimme. »Ich stehe heute Abend vor euch wie kein anderer Erster Fürst seit Jahrhunderten. Ich bin hier, um euch zu warnen. Ich bin hier, um euch zum Dienst zu rufen. Und ich bin hier, um euch zu mahnen, eure Pflicht treu zu erfüllen.« Er hielt inne und ließ den Widerhall seiner Stimme durch den dämmerigen Abend klingen. »Aleraner«, sagte er. »Wir befinden uns im Krieg.«
6
»Natürlich sind wir im Krieg«, flüsterte Amara Bernard verärgert zu. »Wir sind praktisch immer im
Weitere Kostenlose Bücher