Die Befreier von Canea
ganz Alera, jedenfalls unbestreitbar der erfahrenste Kriegswirker des Reiches. Er hat bedeutende Schlachten gewonnen gegen …«
Isana runzelte die Stirn, da die Luft spürbar kälter wurde. Sie zog ihren Mantel enger um sich. »Das nicht«, sagte sie milde. »Darüber brauche ich nichts zu wissen. Ich will etwas über seine Persönlichkeit erfahren.«
Aria schloss die Augen und schüttelte den Kopf über sich selbst. »Natürlich. Tut mir leid, die ganze Reise über habe ich nur an Kriegsführung gedacht. Wie kann ich Nachschub und Vorräte zu meinem Gemahl und seinen Männern bringen und so weiter.«
»Verständlich«, erwiderte Isana freundlich. »Und Raucus?«
Aria verschränkte die Hände im Schoß und runzelte einen Moment lang die Stirn, während sie aus dem Fenster blickte. »Leidenschaftlich«, sagte sie schließlich. »Ich habe noch nie einen Mann gesehen, der mit solcher Leidenschaft durchs Leben geht wie Raucus. Deshalb ist er auch ein so starker Feuerwirker, denke ich. Er glaubt fest an alles, was er tut. Oder er tut es nur, wenn er mit großer Inbrunst daran glaubt. Das hängt vermutlich vom Standpunkt ab.«
»Ist Raucus dem Reich treu ergeben?«, erkundigte sich Isana.
Aria holte langsam Luft. »Er ist … er ist gewissermaßen der Vorstellung von Treue treu ergeben«, antwortete sie schließlich.
»Ich weiß nicht, ob ich den Unterschied so genau verstehe.«
»Raucus glaubt, dass jeder Hohe Fürst dem Ersten Fürsten Treue schuldig ist«, sagte Aria. »Menschen, die nach Macht streben, wie die Fürsten von Aquitania, Rhodos oder Kalarus sind ihm unerträglich, und er wird sich gewissenhaft an das halten, was er als Ideal eines Hohen Fürsten betrachtet. Trotzdem hasst er Gaius. Er würde lieber seine Augen hergeben als Gaius freiwillig irgendwelchen persönlichen Respekt zu erweisen als der Mann, der gegenwärtig die Krone trägt, obwohl er natürlich der Krone den gebührenden Respekt erweist.«
»Warum?«, fragte Isana. »Sicherlich hat Gaius einiges angestellt, um sich Feinde zu machen, aber warum gehört Raucus dazu?«
»In ihrer Jugend standen sich Septimus und er nahe«, erzählte Aria. »Nachdem sie zunächst ein Jahr lang nicht besonders gut miteinander ausgekommen waren, sind sie unzertrennliche Freunde geworden. Nach Septimus’ Tod kam Raucus nicht mehr zum Winterend, er schrieb nicht mehr an die Zitadelle und beantwortete auch keine Briefe des Ersten Fürsten mehr.«
Isana riss unwillkürlich die Augen auf. Septimus war eigentlich nicht in der Schlacht gegen die Marat gestorben, wie man es dem Reich lange Zeit vorgemacht hatte. Er war durch eine Verschwörung getötet worden: Eine Gruppe von Cives hatte mächtige Wirker dazu angestiftet, Septimus’ Elementarkräfte auszuschalten und ihn so verwundbar zu machen. Dieser erfolgreiche Anschlag war bei weitem nicht der erste, sondern nur der letzte von einem Dutzend weiterer Versuche dieser Art gewesen. Isana wusste, Septimus hatte geglaubt, die Drahtzieher der Verschwörung zu kennen, und kurz vor seinem Tod hatte er noch nach Beweisen gesucht.
Wenn Raucus ein enger Freund von Septimus gewesen war, hatte ihr verstorbener Gemahl dem damals noch jungen Fürsten von Antillus möglicherweise entscheidende Tatsachen anvertraut. »Bei den Großen Elementaren«, entfuhr es ihr. »Er weiß etwas.«
Aria zog eine ihrer rotgoldenen Augenbrauen hoch. »Er weiß etwas? Was meinst du damit?«
Rasch schüttelte Isana den Kopf. »Nichts, nichts.« Sie schenkte Aria ein entschuldigendes Lächeln. »Nichts, das ich dir im Moment mitteilen könnte.«
Aria öffnete den Mund zu einem stummen »Ah« und nickte. Sie runzelte die Stirn und zog ebenfalls den Mantel enger um sich. »An der Mauer ist es immer so kalt.«
Isana blickte aus dem Fenster und sah die Schildmauer, ein riesiges Bauwerk aus dunklem Stein, das sich jetzt ungefähr zwanzig Schritt unter ihnen befand. Da es bereits früher Abend war, hatte man einen Kreis aus Lichtern am Landeplatz auf der Mauer angezündet. Das von Schnee bedeckte Land leuchtete im gespenstischen Zwielicht des Winters.
»Sag mir eins, Aria«, bat Isana. »Ist er deiner Einschätzung nach ein guter Mann?«
Aria blinzelte Isana verwirrt an. Sie zögerte kurz, als würde sie mit einer Vorstellung ringen, die ihr vollkommen neu war. »Ich …« Hilflos breitete sie die Hände aus. »Ich weiß gar nicht, wie ich darauf antworten soll. Es gibt Tage, an denen ich selbst nicht so stolz auf die Dinge bin, die ich im
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