Die Begnadigung
– hatte die Kanzlei schrumpfen lassen, aber wie durch ein Wunder ihren Teilhabern das Gefängnis erspart. »Backman II« stand am Ende von drei Jahren bösartiger Intrigen, nach denen sich die Überlebenden gegenseitig verklagt hatten. Die Konkurrenz behauptete gern, bei Pratt & Bolling sei man mehr damit beschäftigt, sich gegenseitig vor Gericht zu zerren, als im Auftrag von Mandanten Klage zu erheben.
Am frühen Morgen dieses Tages jedoch galt das Interesse aller Mitglieder der Kanzlei Backmans Begnadigung. Der Lobbyist auf freiem Fuß! Würde es ein Come-back für ihn geben? Würde er nach Washington zurückkehren? Konnte das alles wirklich wahr sein? Mit Sicherheit nicht.
Kim Bolling befand sich gegenwärtig wegen Alkoholismus in einer geschlossenen Entziehungsanstalt und sollte sofort nach seiner Entlassung für etliche Jahre in ein privates psychiatrisches Krankenhaus überwiesen werden. Die unerträglichen Belastungen der letzten Jahre hatten seine psychische Konstitution für immer zerstört. Damit fiel Carl Pratt die Aufgabe zu, mit dem jüngsten Albtraum klarzukommen – der Begnadigung Joel Backmans.
Vor zweiundzwanzig Jahren hatte Pratt die verhängnisvolle Zusage gegeben, als Backman ihm vorgeschlagen hatte, ihre beiden kleinen Kanzleien zusammenzulegen. Sechzehn Jahre lang hatte Pratt sich abgemüht, für Backman die Drecksarbeit zu erledigen, während die Firma expandierte, immer mehr Geld hereinkam und sämtliche Standesregeln so großzügig interpretiert wurden, dass sie nicht wieder zu erkennen waren. Jede Woche hatte Pratt erbitterte Auseinandersetzungen mit seinem Partner geführt, im Laufe der Zeit aber auch gelernt, die Früchte ihres enormen Erfolgs zu genießen.
Am Ende war Carl Pratt der strafrechtlichen Verfolgung knapp entkommen, weil Joel Backman heroisch für alle die Schuld auf sich genommen hatte. Backmans Verfahrensabsprache und eine weitere Vereinbarung, die die anderen Partner der Kanzlei reinwusch, waren jedoch mit einer Geldstrafe von zehn Millionen Dollar verbunden, die umgehend den ersten Konkurs herbeigeführt hatte – Backman I.
Doch Pratt erinnerte sich selbst fast täglich daran, dass ein Konkurs dem Gefängnis vorzuziehen war. An diesem Morgen schlurfte er schon früh in seinem spärlich möblierten Büro umher, murmelte vor sich hin und versuchte verzweifelt, sich davon zu überzeugen, dass die Neuigkeit nicht stimmen konnte. Er stand an seinem kleinen Fenster, schaute auf das graue Backsteingebäude gegenüber und überlegte, wie diese Entwicklung zustande gekommen sein könnte. Wie hatte ein abgebrannter, aus der Anwaltschaft ausgeschlossener, gesellschaftlich ruinierter, ehemaliger Jurist/Lobbyist einen praktisch schon abgesetzten Präsidenten davon überzeugen können, ihn in letzter Minute zu begnadigen?
Als Joel Backman ins Gefängnis gewandert war, war er wahrscheinlich der berühmteste Wirtschaftsverbrecher der Vereinigten Staaten gewesen. Alle hätten ihn am liebsten am Galgen baumeln gesehen.
Doch wenn irgendjemand auf der Welt ein solches Wunder zustande bringen konnte, musste Pratt einräumen, dann Joel Backman.
Er kannte etliche Klatschmäuler und Besserwisser in Washington und hängte sich für ein paar Minuten ans Telefon. Ein alter Freund, der es irgendwie geschafft hatte, sich unter vier Präsidenten – zwei Demokraten und zwei Republikanern – in der Schaltstelle der Macht zu halten, bestätigte die Meldung schließlich.
»Wo ist er?«, fragte Pratt so eindringlich, als könnte Backman jeden Moment wie ein Geist in Washington auftauchen.
»Das weiß niemand.«
Pratt schloss die Tür ab und musste dagegen ankämpfen, einen Schluck Wodka aus der Büroflasche zu nehmen. Er war neunundvierzig Jahre alt gewesen, als sein Partner zu zwanzig Jahren Haft verurteilt worden war, und hatte sich oft gefragt, was er wohl tun würde, wenn er neunundsechzig war und Joel Backman entlassen wurde.
Deshalb hatte er im Augenblick das Gefühl, als hätte man ihn um vierzehn Jahre betrogen.
Der Gerichtssaal war so überfüllt gewesen, dass der Richter die Verhandlung um zwei Stunden verschoben hatte, damit zusätzliche Stühle herbeigeschafft und eine Sitzordnung organisiert werden konnten. Journalisten aller bekannten Zeitungen, Radio- und Fernsehsender rangelten um Sitz- oder zumindest Stehplätze. Bei den hohen Tieren aus dem Justizministerium und dem Pentagon, von FBI und CIA, aus dem Weißen Haus und dem Kongress war es nicht anders. Alle behaupteten,
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