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Die Begnadigung

Titel: Die Begnadigung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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es liege in ihrem ureigensten Interesse, der juristischen Hinrichtung Joel Backmans beizuwohnen. Als der Angeklagte schließlich dem gespannten Auditorium vorgeführt wurde, schienen urplötzlich alle zu verstummen. Man hörte nur noch, wie der Gerichtsschreiber die Stenografiermaschine startklar machte.
    Backman wurde zum Tisch der Verteidigung geführt, wo sich eine kleine Armee von Anwälten um ihn drängte, als bestünde Gefahr, dass der Pöbel auf den hinteren Plätzen auf ihren Mandanten feuerte. Eine Überraschung wäre es nicht gewesen, selbst wenn die Sicherheitsvorkehrungen denen bei einem Präsidentenbesuch ähnelten. In der ersten Reihe, direkt hinter dem Tisch der Verteidigung, saßen Carl Pratt und etwa ein Dutzend von Backmans anderen Partnern, die bald schon ehemalige Partner sein würden. Sie waren gründlich gefilzt worden, und das mit gutem Grund. Aber obwohl sie Backman wie die Pest hassten, drückten sie ihm gleichzeitig die Daumen. Falls die Verfahrensabsprache wegen irgendwelcher Probleme oder Meinungsverschiedenheiten in letzter Minute platzen würde, wären sie wieder zum Abschuss freigegeben und könnten sich auf unmittelbar bevorstehende, unangenehme Prozesse freuen.
    Aber wenigstens saßen sie jetzt in der ersten Reihe – unter den Zuschauern, nicht am Tisch der Verteidigung, der den Bösewichtern vorbehalten war. Und sie lebten noch. Vor acht Tagen war Jacy Hubbard, einer von Backmans prominentesten Partnern, auf dem Soldatenfriedhof in Arlington tot aufgefunden worden. Angeblich hatte er sich umgebracht, doch kaum jemand glaubte daran. Hubbard war ein Senator aus Texas gewesen, der seinen Sitz nach vierundzwanzig Jahren einzig und allein aus dem – freilich verheimlichten – Grund aufgegeben hatte, den Meistbietenden von seinem beträchtlichen Einfluss profitieren zu lassen. Natürlich hätte Joel Backman nie zugelassen, dass ihm ein so dicker Fisch durch die Maschen ging. Seine Kanzlei hatte Hubbard für ein Jahressalär von einer Million Dollar angeheuert, weil der gute alte Jacy sich jederzeit ins Oval Office einladen konnte.
    Hubbards Tod verhalf Joel Backman auf wundersame Weise dazu, den Standpunkt der Regierung zu verstehen. Die Blockade, durch die die Verhandlungen über die Verfahrensabsprache in die Länge gezogen worden waren, war plötzlich überwunden. Backman akzeptierte nicht nur eine zwanzigjährige Gefängnisstrafe, sondern konnte es auch kaum abwarten, in Schutzhaft genommen zu werden.
    Die Regierung wurde durch einen hochrangigen Anwalt aus dem Justizministerium vertreten, der vor so einem großen und prominent besetzten Auditorium der Versuchung nicht widerstehen konnte, seinen Auftritt zu zelebrieren. Wo ein Wort genügt hätte, benutzte er drei. Er stand auf der Bühne – ein rarer Augenblick in einer langen, eintönigen Laufbahn –, und die Augen der Nation waren auf ihn gerichtet. Als er begann, die Anklageschrift vorzulesen, wurde schnell deutlich, dass er – obwohl er sich mächtig abmühte – ein Langweiler war, der kein Talent zum Schauspieler hatte und keine dramatischen Akzente setzen konnte. Nach acht Minuten unterbrach der Richter den nervtötenden Monolog. Er schaute schläfrig über seine Lesebrille und sagte: »Fassen Sie sich bitte etwas kürzer, Sir, außerdem brauchen Sie nicht so zu schreien.«
    Es gab achtzehn Anklagepunkte, die Backman von Spionage bis Landesverrat etliche kriminelle Delikte unterstellten, und als alle verlesen waren, hatte er sich in einen Schurken verwandelt, der in der gleichen Liga wie Hitler spielte. Sein Anwalt erinnerte das Gericht und die Zuschauer unverzüglich daran, dass bisher nichts bewiesen sei. Tatsächlich handele es sich um eine einseitige Sicht der Dinge, nämlich um die voreingenommene der Regierung. Dann erklärte er, sein Mandant werde sich nur in vier der achtzehn Anklagepunkte schuldig bekennen, die sich auf den unrechtmäßigen Besitz militärischer Dokumente bezögen. Anschließend las der Richter die lange Verfahrensabsprache vor, und zwanzig Minuten lang herrschte Stille im Auditorium. Die Gerichtszeichner in der ersten Reihe skizzierten die Szenerie so hektisch, dass ihre Bilder kaum Ähnlichkeit mit der Realität hatten.
    Irgendwo in den hinteren Reihen, unter wildfremden Leuten, saß Neal Backman, Joels ältester Sohn, damals noch ein Juniorpartner in der Kanzlei Backman, Pratt & Bolling. Doch das sollte sich bald ändern. Schockiert und ungläubig beobachtete er, wie sein einst mächtiger

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