Die Begnadigung
dass er über die Fähigkeit zum Nachdenken verfügt.«
»Ich werde also anrufen und ihm mitteilen, dass Sie nicht interessiert sind.«
»Warten Sie.«
Backman leerte die Wasserflasche und bat um eine neue. Nachdem er sich den Mund mit dem Ärmel abgewischt hatte, fragte er: »Ist das eine Art Zeugenschutzprogramm?«
»Es gibt kein offizielles Programm, Mr Backman. Trotzdem erscheint es uns von Zeit zu Zeit notwendig, Personen zu verstecken.«
»Wie oft verlieren Sie eine davon?«
»Nicht sehr häufig.«
»Nicht sehr häufig? Also gibt es keine Garantie dafür, dass ich in Sicherheit bin.«
»Garantieren können wir für nichts. Aber Ihre Chancen stehen gut.«
Backman blickte den Gefängnisdirektor an. »Wie viele Jahre muss ich hier noch absitzen, Lester?«
Damit war der Direktor plötzlich wieder am Gespräch beteiligt. Niemand nannte ihn »Lester« – er hasste und vermied diesen Namen. Das Schild auf seinem Schreibtisch besagte, dass er L. Howard Cass hieß. »Vierzehn, und nennen Sie mich bitte ›Mr Cass‹.«
»Sie können mich mal, Cass. Hier würde ich in drei Jahren an einer Kombination von Unterernährung, Unterkühlung und unzureichender medizinischer Versorgung verrecken. Unser Freund Lester führt ein strenges Regiment, Leute.«
»Können wir wieder zur Sache kommen?«, fragte Mr Sizemore.
»Natürlich nehme ich das Angebot an«, sagte Backman. »Nur ein Idiot würde es ablehnen.«
Jetzt konnte Mr Knabe vom Justizministerium aktiv werden. Er öffnete seine Aktentasche. »Hier ist der Papierkram.«
»Für wen arbeiten Sie?«, fragte Backman Mr Sizemore.
»Für den Präsidenten der Vereinigten Staaten.«
»Dann richten Sie ihm aus, dass ich nicht für ihn stimmen konnte, weil ich im Knast saß. Sonst hätte ich es mit Sicherheit getan. Bedanken Sie sich in meinem Namen bei ihm.«
»Das werde ich tun.«
Hoby schenkte seinem Chef entkoffeinierten grünen Tee ein, denn es war schon fast Mitternacht. Er reichte Maynard den Becher. Der CIA-Direktor saß, in seine Decke gehüllt, vor der Hintertür des Transporters und beobachtete den Verkehr. Sie fuhren auf der Constitution Avenue in Richtung Roosevelt Bridge. Der alte Mann trank einen Schluck Tee. »Morgan ist zu dumm, um Straferlasse zu verkaufen«, sagte er. »Critz macht mir allerdings Sorgen.«
»Vor zwei Wochen wurde auf der Karibikinsel Nevis ein neues Konto eröffnet, und zwar von einer obskuren Firma, die Floyd Dunlap gehört.«
»Wer ist das?«
»Einer von Morgans Spendensammlern.«
»Warum Nevis?«
»Im Augenblick ist die Insel im Offshore-Banking angesagt.«
»Haben wir da alles im Blick?«
»Hundertprozentig. Mögliche Überweisungen müssten in den nächsten achtundvierzig Stunden eintreffen.«
Maynard nickte und warf einen flüchtigen Blick auf das links liegende Kennedy Center. »Wo ist Backman?«
»Verlässt gerade das Gefängnis.«
Maynard lächelte und trank einen Schluck Tee. Während sie die Brücke überquerten, herrschte Schweigen, doch als sie hinter ihnen lag, sprach der CIA-Chef weiter. »Wer wird ihn finden?«
»Spielt das wirklich eine Rolle?«
»Nein. Aber es wird amüsant werden, den Wettlauf zu beobachten.«
Als Joel Backman nach sechs Jahren Einzelhaft um fünf Minuten nach zwölf die Rudley Federal Correctional Facility verließ – vierzehn Jahre früher als erwartet –, trug er eine abgetragene, aber gestärkte und gebügelte khakifarbene Militäruniform ohne Abzeichen, blank gewienerte schwarze Kampfstiefel und eine schwere Marinejacke, deren Kapuze er über den Kopf gezogen hatte. Er hatte nur eine kleine Stofftasche mit ein paar Büchern und einigen Fotos dabei und drehte sich nicht um.
Backman war zweiundfünfzig Jahre alt, geschieden und pleite. Zwei seiner drei Kinder wollten nichts mehr mit ihm zu tun haben, und seine ehemaligen Freunde hatten ihn allesamt vergessen. Niemand von ihnen hatte sich die Mühe gemacht, den Briefwechsel über das erste Jahr seiner Haft hinaus fortzusetzen. Eine alte Freundin, eine von zahllosen Sekretärinnen, denen er in seinen luxuriösen Büros nachgestellt hatte, schrieb ihm zehn Monate lang, brach die Korrespondenz aber ab, als in der Washington Post berichtet wurde, das FBI sei zu der Ansicht gelangt, es sei entgegen ersten, anders lautenden Gerüchten unwahrscheinlich, dass Joel Backman seine Kanzlei und seine Mandanten um Millionen erleichtert habe. Wer hat schon Interesse an einer Brieffreundschaft mit einem bankrotten Anwalt, der im
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