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Die Begnadigung

Titel: Die Begnadigung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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ihn dann in einen abgelegenen Winkel des Soldatenfriedhofs in Arlington gebracht und durch einen Kopfschuss getötet hatten. Hubbards Leiche war auf dem Grab seines Bruders gefunden worden, eines dekorierten Helden des Vietnamkriegs. Eine nette Geste, doch gute Bekannte von Hubbard sagten, er habe nie von seiner Familie gesprochen. Viele wussten gar nicht, dass er einen Bruder gehabt hatte.
    Eine nur hinter vorgehaltener Hand verbreitete Theorie besagte dagegen, Hubbard sei von den Leuten ermordet worden, die es auch auf Joel Backman abgesehen hätten. Für den Fall, dass ihre Namen auf der gleichen Liste stehen sollten, hatten Carl Pratt und Kim Bolling noch Jahre später sehr viel Geld für professionelle Leibwächter ausgegeben, doch offenbar hatten sie sich geirrt. Die beiden waren für die Details des schicksalsschweren Geschäfts zuständig gewesen, das Backman ins Gefängnis gebracht und Hubbard das Leben gekostet hatte. Im Laufe der Zeit hatte Pratt seine persönlichen Sicherheitsmaßnahmen gelockert. Trotzdem hatte er seine Pistole immer dabei.
    Doch Backman war weit weg, und die Entfernung wuchs mit jedem Augenblick. Seltsam war allerdings, dass auch er an Jacy Hubbard und die Leute dachte, die ihn möglicherweise umgebracht hatten. Er hatte reichlich Zeit zum Nachdenken. Vierzehn Stunden auf einem Klappbett in einem stark vibrierenden Transportflugzeug konnten die Sinne abstumpfen, zumindest bei einem normalen Passagier. Für einen gerade entlassenen Passagier, der sechs Jahre in Einzelhaft gesessen hatte, war so ein Flug dagegen ziemlich stimulierend.
    Wer immer Jacy Hubbard getötet haben mochte, er war bestimmt sehr daran interessiert, auch Joel Backman umzubringen, der sich siebentausend Meter über der Erde einige ernsthafte Fragen durch den Kopf gehen ließ. Wer hatte sich für seine Begnadigung eingesetzt? Wo wollten sie ihn verstecken? Und wer waren »sie«?
    Eigentlich waren es keine unangenehmen Fragen im Vergleich zu denen, die er sich noch vierundzwanzig Stunden zuvor gestellt hatte: Wollen sie mich verhungern lassen? Mich erfrieren lassen? Werde ich in diesem zehn Quadratmeter großen Loch allmählich den Verstand verlieren? Oder doch eher sehr schnell? Werde ich jemals meine Enkelkinder kennen lernen? Will ich es überhaupt?
    So beunruhigend sie auch sein mochten, die neuen Fragen gefielen ihm besser. Zumindest würde er irgendwo eine Straße hinabschlendern, frei atmen, die Sonne auf seiner Haut spüren und vielleicht in einem Lokal einen Kaffee trinken können.
    Früher hatte er einmal einen reichen Mandanten gehabt, einen Kokainschmuggler, der der amerikanischen Drogenbehörde in die Falle gegangen war. Der Mann war eine so wichtige Informationsquelle gewesen, dass die Strafverfolgungsbehörde ihm ein neues Leben, eine neue Identität und eine Gesichtsoperation versprochen hatte, wenn er im Gegenzug sein Wissen über bestimmte Kolumbianer preisgab. Er hatte gesungen und war nach der Operation in den Norden Chicagos gezogen, wo er eine kleine Buchhandlung eröffnete. Jahre später hatte Joel ihn einmal besucht. Sein ehemaliger Mandant hatte einen modischen Kinnbart, rauchte Pfeife und wirkte wie ein Intellektueller mit Bodenhaftung. Er hatte eine neue Frau und drei Stiefkinder, und die Kolumbianer sollten nie etwas von seiner neuen Existenz erfahren.
    Da draußen wartete eine große weite Welt auf ihn. Es war nicht schwer, sich zu verstecken.
    Joel schloss die Augen, lauschte dem gleichförmigen Brummen der vier Triebwerke und versuchte sich einzureden, dass er nicht in Angst und auf der Flucht leben würde, was immer ihn auch erwarten mochte. Er würde sich seiner neuen Umgebung anpassen und überleben.
    Ein paar Pritschen weiter tauschten zwei Soldaten leise Erinnerungen an Frauengeschichten aus. Joel musste an Mo denken, seinen Mithäftling, der Mafiosi denunziert hatte. Während der letzten vier Jahre hatte er die Zelle neben ihm bewohnt und war der einzige Mensch gewesen, mit dem er sich – durch einen Lüftungsschacht – unterhalten konnte. Mo vermisste weder seine Familie noch seine Freunde, seine Bekannten, das gute Essen, den Alkohol oder die Sonne. Er redete nur über Sex und erging sich in langen, detailreichen Ausführungen über seine Eskapaden. Er erzählte obszöne Witze, unter ihnen die schmutzigsten, die Joel je zu Ohren gekommen waren. Sogar Gedichte über ehemalige Liebhaberinnen, Orgien und sexuelle Fantasien schrieb er.
    Joel würde ihn nicht vermissen.
    Ohne es zu

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