Die Begnadigung
freundlich … aber im Inhalt glichen sie sich wie ein Ei dem anderen: Programm besetzt …, zu spät eingereicht …, Themenkreis durch andere Referate erschöpft … Vormerkung (die dann vergessen würde … ).
Eine Mauer des Schweigens baute man um Dr. Hansen auf. Und man machte ihn mundtot. Hansen hatte alles erwartet, nur das nicht. Er wollte seine Ansichten und Erfahrungen vor der Fachwelt öffentlich erläutern und sich dann der Kritik stellen. Er war auf Angriffe gewappnet … daß man ihn behandelte, als sei er gar nicht vorhanden, machte ihn hilflos.
Auch die medizinischen Zeitschriften schickten von nun an seine Artikel zurück. Plötzlich kämpfte man mit Platzmangel. Die Redaktionen, in deren wissenschaftlichem Beirat Runkel und Bongratzius saßen, legten sogar nur vorgedruckte Formulare bei mit dem Satz: ›Unverlangt eingesandte Manuskripte können infolge Arbeitsüberlastung leider nicht geprüft werden …‹
Verbittert verschloß sich Hansen in seiner See-Klinik.
Nach langen Bemühungen fand er endlich einen kleinen Verlag, der bereit war, gegen Übernahme der Herstellungskosten eine Zusammenfassung der Artikel in Buchform herauszubringen.
»Wer soll das lesen?« hatte der Verleger anfänglich skeptisch gefragt. »In die medizinischen Bibliotheken kommen wir nicht 'rein. Und die Laien? Na ja … wenn Sie's bezahlen …«
Es wurde ein Erfolg. Mit Verwunderung konstatierte der Verleger, daß über fünftausend Vorbestellungen kamen. Es war, als stürze sich die Ärzteschaft auf dieses Buch eines ›Außenseiters‹. Aber nirgendwo erschien eine Besprechung, nirgends auch nur eine Erwähnung … man kaufte das Buch, las es, stellte es im Bücherschrank in die zweite Reihe … und schwieg.
Dr. Hansen resignierte nicht. Mit Schaudern sah er nur, daß man seine Therapie nicht nur überging, sondern – bewußt oder unbewußt – auch völlig verkannte. Er hatte nie gegen eine Operation gestimmt, wenn ein Tumor noch operabel war. Solange ihm nach dem Studium der Krankengeschichte eine Operation als Mittel der Wahl die größere Chance zu haben schien, hatte er einen Patienten überhaupt nicht aufgenommen. Erst, wenn er von anderen Ärzten aufgegeben worden war, öffnete Hansen ihm die Türen seiner Klinik …
Noch ein allerletztes Mal machte Hansen einen Versuch, eine Klärung zu erreichen. Er schrieb an Professor Runkel einen langen Brief.
Er bekam keine Antwort.
Da wandte sich Hansen an das Ausland. In englischen und französischen Zeitschriften erschienen seine Arbeiten. Sie wurden von anderen Ländern übernommen. Eine Flut von Anmeldungen ergoß sich über die ›See-Klinik‹. Aus Frankreich und der Schweiz kamen Besichtigungs-Kommissionen. Plötzlich beschäftigte man sich in aller Welt mit Dr. Hansen. In New York wie in Stockholm, in Johannisburg wie in Rio de Janeiro. Nur in Hamburg, München, Berlin – nur in Deutschland nicht …
Franz Wottke hatte erst bei Dr. Marianne Pechl nachgefragt, ehe er sich beim Chef melden ließ. Statt direkt zu Hansen zu gehen, kam er ins Privat-Sekretariat zu Herta Färber und sagte: »Bitte, melden Sie mich beim Chef an …«
»Sind Sie krank?« fragte Herta Färber.
»Sind Sie untersuchender Arzt?« fragte Wottke stur zurück.
Herta Färber drückte den Knopf der Sprechanlage herunter und wartete, bis Dr. Hansen sich meldete.
»Ja? Was ist?«
»Ein Herr Wottke möchte Sie sprechen, Herr Doktor …«
»Wer?«
»Herr Franz Wottke.«
Hansen öffnete die Tür selbst. Er hielt es für unmöglich, daß Wottke sich anmelden ließ. Als er ihn sah, schüttelte er den Kopf und winkte.
»Komm 'rein!« sagte er. Wottke schlurfte ihm nach und wartete, bis Hansen sich wieder gesetzt hatte. »Was ist denn mit dir los?« fragte Hansen ratlos.
»Es handelt sich um eine offizielle Sache, Chef.« Wottke wischte sich mit einem großen Taschentuch den plötzlich ausbrechenden Schweiß von der Stirn. »Tja … hab' mir das lange überlegt. Und nachdem die Krankengeschichte immer besser wird … und die Kinder haben sich so an sie gewöhnt … und allerlei sparen kann ich auch dabei … alles näht sie selbst, und auch Anzüge, hat sie alles gelernt … fleißig ist sie … ich hab's mir lange überlegt, Chef … aber gegen die Liebe kann man ja nicht an, was?«
Wottke stockte.
»Und …«, fragte Hansen.
»Ja – und ein Jahr Witwer bin ich jetzt auch schon lange … und es ist bestimmt nicht im Sinne Ernas, daß die Kinder weiterhin ohne Mutter … Ist doch
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