Die Begnadigung
ein nettes Mädchen, nicht wahr, Chef … Nun sagen Sie doch was, Chef …«
Dr. Hansen hatte die Hände verwundert aneinandergelegt. Schon nach den ersten Worten Wottkes wußte er, welche ›offizielle Sache‹ ihn herführte. Da lebt man jetzt über ein Jahr unter einem Dach, dachte Hansen, Hunderte Schicksale gehen durch meine Hand, und doch sieht man nicht genug.
»Du meinst Lisbeth Burker, nicht wahr?«
»Ja.« Erleichtert wedelte sich Wottke mit dem Taschentuch Luft zu. »Ich wollte fragen, Chef, ob man die Lisbeth … ob man sie heiraten kann …«
»Warum soll man die Lisbeth nicht heiraten können?«
»Nun … schließlich …« Wottke scharrte mit den Fußspitzen über den Teppich. »Erna habe ich durch den Krebs verloren. Wenn jetzt die Lisbeth …«
»Was sagt denn Fräulein Doktor Pechl?«
Wottke lief knallrot an. Auch das Fächeln mit dem großen Taschentuch half nichts mehr. Das Wasser rann ihm nur so 'runter.
»Sie wissen alles, Chef …?«
»Nichts weiß ich. Aber ich kenne meinen gründlichen Wottke. Ich kann nur bestätigen, was Doktor Pechl auch sagte: Lisbeth Burker geht es ganz gut. Wenn sie vernünftig lebt und die Behandlung weiterhin durchgehalten wird, sehe ich kein Hindernis. Übrigens ist Glück die beste Medizin.«
»Ich kann sie also heiraten?«
»Aber ja, Wottke.«
»Und eine tüchtige Hausschneiderin bekommen wir auch damit …«
Hansen lachte. »Nun 'raus, Wottke! – Weiß Fräulein Burker übrigens von ihrem Glück?«
»Wo denken Sie hin, Chef? Noch weiß sie natürlich nichts. Ich … ich muß da erst eine Gelegenheit suchen. Ich hab' mir auch schon gedacht, ob vielleicht nicht Sie … Sie kennen doch die Frauen besser als ich …«
»Nein.« Hansen schüttelte den Kopf und schob Wottke aus der Seitentür hinaus auf den Flur. »Das mußt du schon allein machen …«
Viermal ging Wottke an dem Zimmer vorbei, in dem Lisbeth Burker saß und die Wäsche der Klinik kontrollierte oder vielleicht einem der sechs Wottke-Kinder gerade etwas nähte. Beim fünftenmal erinnerte sich Wottke daran, daß er als Spieß beim Kommiß schon ganz andere Situationen gemeistert hatte und drückte die Klinke der Tür herunter.
Lisbeth saß am Fenster, hatte die Balkontür weit offen und schneiderte für den mittleren Wottke, den Robert, eine Cordhose. Sie wandte den Kopf zu Franz Wottke, lächelte ihn an und hob den fertigen Teil der Hose hoch.
»Morgen kann er sie anziehen.«
»Großartig!« Franz Wottke zählte innerlich bis drei, dann sagte er laut: »Nähen Sie alles, Lisbeth …?«
»Fast alles. Warum?«
»Ich meine nur so.« Es klang nicht sehr überzeugend. Er war drauf und dran, sich zu blamieren, erkannte er. Rasch nahm er einen zweiten Anlauf und schoß nun direkt aufs Ziel los. Und damit es auch ja kein Mißverständnis geben konnte, sagte er überlaut: »Willst du mich heiraten, Lisbeth?«
Lisbeth Burker wurde vor Schrecken blaß.
»Ja!« sagte sie mit zittriger Stimme, »ja … ja doch …«
Erst als sie das ein dutzendmal wiederholt hatte, fing sie sich allmählich. »Du kannst einen aber wirklich erschrecken. Warum schreist du denn so … Das kann man doch vernünftig sagen …«
Und wie Lisbeth Burker das sagte, fühlte sie zum erstenmal in ihrem Leben, wie glücklich ein Mensch sein kann …
Oberarzt Dr. Färber fuhr von einem Kongreß nach Hause. Professor Runkel hatte ihn hingeschickt. »Damit Sie auch mal etwas anderes sehen und hören«, hatte er gesagt. »Wird ganz interessant werden. Die Kollegen von der Strahlenklinik werden neues Material vorlegen. Haben Sie schon mal ein modernes Strahlen-Institut besichtigt?«
»Kurz nur, Herr Professor.«
»Dann tun Sie es jetzt.«
Der Kongreß war wie alle Kongresse gewesen. Reden, Bildvorträge, zwei Filme, Neues und Altes, viel Optimismus und viel Kritik, Palaver hin, Palaver her …
Dr. Färber hatte das alles nicht interessiert. Er konnte operieren. Das brauchte man ihm nicht mehr zu zeigen. Was ihn beschäftigte, war die große Sterblichkeit der Krebspatienten, die er von ihrem Tumor befreit hatte. Sie waren anschließend in der Strahlenklinik bestrahlt worden, und nach fünf, acht oder zehn Monaten kamen sie doch wieder zurück in die Klinik, mit Rezidiven, mit unangreifbaren Metastasen, mit einem plötzlich inoperabel gewordenen Krebs an einer ganz anderen Stelle.
An Tagen, an denen er solche niederschmetternden Feststellungen treffen mußte, war auch Dr. Färber schließlich nichts anderes als ein
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