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Die Begnadigung

Die Begnadigung

Titel: Die Begnadigung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Wottke auch …
    Der 27. fiel auf einen Freitag.
    In Wiesbaden goß es. Vor dem Weinhaus ›Bacchus‹ stand der Portier mit einem großen Regenschirm und geleitete die Herren, die aus ihren großen Wagen stiegen, zum Eingang.
    Professor Runkel wurde unter der Tür von Professor Bongratzius empfangen, der ihn mit beidhändigem Händedruck begrüßte.
    »Ihre Operation – grandios, einfach grandios.«
    Runkel strahlte, als er den Gartensaal betrat, in dem die übrigen geladenen Kollegen bereits versammelt waren. Ordinarien, berühmte Namen, Forscher, Kliniker. Bongratzius hatte sein Organisationstalent bewiesen. Was sich hier an diesem regnerischen Freitag im Weinhaus ›Bacchus‹ in Wiesbaden traf, war eine Auslese der medizinischen Wissenschaft.
    Pünktlich um zwanzig Uhr eröffnete Bongratzius die Versammlung. »Liebe Kollegen …«, sagte er. Einer der Herren räusperte sich bereits diskret. Er war Geheimrat und wollte als solcher auch angesprochen werden. Bongratzius überhörte den unausgesprochenen Tadel und sprach weiter. Er kam gleich zur Sache.
    »Es haben sich in letzter Zeit Elemente aufgetan, die unter dem Mantel der medizinischen Wissenschaft, ja sogar unter dem Mantel des ärztlichen Standes, eines der größten Probleme der Gegenwart in leichtfertigster Weise verniedlichen und der breiten Masse mit nicht gerechtfertigtem Optimismus darstellen: Krebs! Was man in letzter Zeit von – Kollegen … leider müssen wir es sagen, denn diese Herren sind ja Ärzte wie wir … über das Karzinomproblem hören muß, ist so verderblich, daß wir, meine Herren, nicht länger schweigend verharren können …«
    Bongratzius sprach gewählt. Die Umständlichkeit seiner Worte entsprach der Würde der Versammlung. Zustimmung heischend, sah er die Runde der Zuhörer ab. Runkel nickte ihm zu, der Geheimrat räusperte sich wieder. Zwei Strahlentherapeuten begannen, gesammeltes Material auszupacken. Obenauf lagen die Artikel Dr. Hansens.
    »Ich denke da vor allem an einen Kollegen, der kürzlich veröffentlichte, daß er vier Inkurable durch interne Therapie geheilt hat! Wir wollen nicht untersuchen, inwieweit der Ausdruck ›geheilt‹ überhaupt berechtigt ist … Wir wollen nur feststellen, daß solche unkontrollierten Veröffentlichungen ungeheures Unheil anrichten können. Sie sind angetan, eine Krebspanik zu erzeugen. Sie fördern die Operationsverweigerung … und Operation und Nachbestrahlung sind heute die einzigen Heilfaktoren bei Krebs! Ich sage klar: Die einzigen! Alles andere sind Versuche, sind vage Versprechungen, ja, sind Verdummungen der gläubigen, sich an jede noch so wahnsinnige Hoffnung klammernden Patienten …«
    Professor Bongratzius sprach über eine Stunde. Er zerpflückte Hansens Erfolgsbericht. Er war Pathologe, und für ihn gab es gar keine andere Erklärung, als daß es sich beim Krebs nicht um eine Allgemein-Erkrankung, sondern nur um eine lokalisierte Zellenveränderung handelte.
    Am Ende fiel der berühmte Satz, mit dem seit Jahrhunderten die Außenseiter der Medizin disqualifiziert wurden:
    »Alle diese Therapien und Thesen sind unwissenschaftlich und schon aus diesem Grunde abzulehnen! Die wissenschaftliche Linie ist durch Chirurgie und Strahlenkunde festgelegt …«
    Die Versammlung der großen Namen beschloß nach einer kurzen Aussprache, den Vorschlag des Kollegen Runkel als intime Richtlinie des Handelns anzuerkennen: Totschweigen. Den Phantasten Hansen totschweigen. Ein Rezept, das sich, so einfach es war, in solchen Fällen noch immer bewährt hatte …
    Nach zwei Stunden fuhren die Herren wieder in ihre Hotels oder zurück in ihre Heimatorte. Nur Runkel und Bongratzius, die den weitesten Weg hatten, blieben noch bei einer Flasche zusammen.
    »In vier Wochen ist ein Kongreß der bayerischen Chirurgen«, sagte Bongratzius und sah in den goldgelben Wein. »Hansen hat sich zum Referat gemeldet.« Er lächelte verschmitzt. »Leider sind wir besetzt …«
    Runkel nickte zufrieden. »Professor Vollmer sagte mir eben, daß auch für die Internisten-Tagung eine Meldung Hansens vorliegt. Leider ist die Zeit auch besetzt …«
    »Na denn!« Bongratzius hob das Glas. »Auf die klaren Verhältnisse, die der heutige Abend geschaffen hat …«
    Dr. Hansen hatte eine Mappe angelegt. Eine rote Mappe, auf deren Deckel mit schwarzer Tusche geschrieben stand: Kongresse.
    In dieser Mappe lagen die Absageschreiben der Kongreßvorsitzenden. Sie waren höflich, sehr kollegial, zum Teil ausgesprochen

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