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Die Behandlung: Roman (German Edition)

Die Behandlung: Roman (German Edition)

Titel: Die Behandlung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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Meinung geändert hätte. »Wir wollen nur von ihm wissen, was genau passiert ist.«
    »Schreckliche Geschichte, nicht wahr?«
    »Ja, schrecklich«, pflichtete Caffery ihr bei. »Und Gott verhüte, dass der Täter noch mal zuschlägt.«
    »Ach, Unsinn, sagen Sie doch nicht so was.«
    »Solche Typen lassen es nicht bei einem Verbrechen bewenden. Macht ihnen einfach zu viel Spaß.«
    »Ach, hören Sie doch auf. Das kann doch nicht Ihr Ernst sein.«
    »So ernst wie ein Herzinfarkt.«
    Sie zog die Augenbrauen hoch. »Das ist nicht ganz der Ton, der hier üblich ist.«
    »Tut mir Leid.« Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf und stand jetzt direkt vor ihr. Auf dem Schildchen, das auf ihrer Brust baumelte, konnte er ihren Namen lesen. »Tut mir Leid, ich wollte nicht unhöflich sein, Ayo.«
    Sie lächelte und legte – halb verlegen, halb geschmeichelt – die Hand auf das Schild. Zum ersten Mal seit Monaten wäre sie froh gewesen, wenn ihr Bauch etwas weniger kugelrund gewesen wäre. »Keine Ursache. Wirklich eine schreckliche Geschichte.«
    »Ja.« Er kratzte sich im Nacken und beugte sich etwas näher zu ihr vor. »Und der Kerl, der den kleinen Jungen auf dem Gewissen hat, ist verdammt schlau. Mir fehlen nur noch ein paar Steinchen, dann wäre das Mosaik komplett. Und wenn ich mit Mr. Peach sprechen könnte« – er ballte die Hand zur Faust -, »dann würde ich sehr schnell herausbekommen, was genau passiert ist. Aber sei’s drum.« Er klopfte mit den Knöcheln gegen die Wand. »Können Sie mir wenigstens sagen, wo ich die Herrentoilette finde?«
    »Durch die Eingangstür dort drüben und dann gleich rechts.« Sie wies den Korridor entlang.
    »Danke.«
    Auf der Toilette machte Caffery die Tür hinter sich zu und zählte bis fünf. Dann drehte er sich um, ging schnurstracks zum Eingang der Intensivstation zurück und klingelte Sturm. Ayo öffnete ihm.
    »Ist das einer von Ihren Patienten?«
    »Was?«
    »Ich meine, der Mann, der in der Toilette am Boden liegt. Jedenfalls hängt er an einem Tropf. Ich hab bloß gedacht …«
    Ayo fuhr erschrocken zusammen und wusste nicht, was sie tun sollte.
    »Liegt direkt hinter der Tür. Soll ich vielleicht jemanden holen?«
    »Ja, den Stationsarzt!« Sie ging eilig den Gang entlang. Ihr Namensschild an der Kette schaukelte bei jedem Schritt hin und her. Sie drehte sich im Laufen um. »Bitte rufen Sie 455 an.«
    »Wird gemacht.« Er wartete, bis sie durch die Tür verschwunden war, nickte dem Uniformierten zu und huschte in die Station.
     
    Der Teppichboden löste sich rasch aus seiner Verankerung – wie ein Heftpflaster, das mit einem Ruck entfernt wird -, und die kleinen Stifte machten plopp, plopp, plopp. Sie zog die Isolierschicht beiseite und presste ihr Ohr gegen die nackten Dielen. Nichts. So blieb sie einen Augenblick liegen, berührte die Maserung des Holzes, ließ den Duft der kanadischen Wälder auf sich wirken. Doch sie hatte keine Zeit, um auszuruhen. Sie holte tief Luft, setzte sich auf und inspizierte das Stück des Bodens, das sie freigelegt hatte.
    Die dünne Leiste, die den Teppich seitlich fixiert hatte, war auf den Brettern festgenagelt. Sie beugte sich zur Seite, schnappte sich den Draht, den sie aus ihrem BH entfernt hatte, und schob das Ende unter der Leiste hindurch. »Hey, Smurf«, murmelte sie, »du kannst stolz auf Frauchen sein.« Sie zog das Hemd aus, wickelte es um ihre Hände und zog an dem Draht. Die Leiste quietschte und löste sich dann rasch aus dem Boden.
    »Gut.«
    Sie legte sich auf die Seite und inspizierte das Holzstück, aus dem die kurzen Nägel wie messerscharfe Zähne hervorstachen. Ein Werkzeug. Und wenn schon kein Werkzeug, dann wenigstens eine Waffe. Sie schob sich auf dem Hintern vorwärts und zog die Beine so stark an, dass sie direkt vor der Heizung hockte. Dann fing sie an, mit der Nagelleiste das Kupferrohr anzusägen – vor und zurück, vor und zurück. Nein, sie war nicht länger bereit, einfach tatenlos den Tod zu erwarten. Zuerst brauchte sie unbedingt Wasser, und dann würde sie schon weitersehen. Ja, so einfach war das.
     
    Auf der Intensivstation war alles still. Nur das leise Piepen der Monitore war zu hören und gelegentlich das saugende Geräusch einer Beatmungsmaske, die eine Krankenschwester zur Überprüfung der Funktionstauglichkeit gegen ihre Hand presste. In dem Raum waren achtzehn Betten aufgestellt, zwischen denen blau gekleidete Pflegerinnen in weißen Stoffschuhen wortlos hin und her huschten. Die

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