Die Behandlung: Roman (German Edition)
Aber es war noch verschwommen und wegen der schlechten Beleuchtung auch nicht klar zu erkennen, deshalb legte er es in das Unterbrecherbad und fixierte es anschließend. Er konnte kaum still sitzen, während er die vorgeschriebene Zeit verstreichen ließ. Dann ging er mit dem tropfnassen Foto in die Küche, ließ Leitungswasser darüber laufen und begutachtete anschließend das Ergebnis. Das Bild war ein wenig verschwommen – entweder weil der Vergrößerer nicht richtig funktioniert hatte, oder aber weil bereits das Negativ unscharf gewesen war. Mit klopfendem Herzen trat Klare ans Wohnzimmerfenster und betrachtete das Foto in der Sonne.
23. KAPITEL
Auf der Station war inzwischen wieder Ruhe eingekehrt – nur hier und da das Surren einer Infusionspumpe, ein kurzes Schrillen der Alarmglocke. Draußen herrschten hochsommerliche Temperaturen, und durch das Fenster im Schwesternzimmer, das einen Spaltbreit geöffnet war, wehte eine leichte Brise herein und versetzte die Vorhänge auf der Station sanft in Bewegung. Zehn Minuten vor der Mittagspause huschte eine Schwester durch die Station. Sie blieb abrupt vor dem Privatzimmer stehen und verharrte einen Augenblick, drückte dann die Klinke nach unten, trat rasch ein und schloss die Tür hinter sich. Nicht mal eine Minute später ging die Tür wieder auf, und dieselbe Frau trat heraus. Sie eilte mit den abgehackten Bewegungen einer Gliederpuppe den Gang entlang.
Ayo hielt sich für eine gute Intensiv-Krankenschwester und hatte normalerweise keine Probleme damit, zu ihren Patienten ein herzliches Verhältnis herzustellen, hinter all den Drähten und Schläuchen das Herz ihrer Schutzbefohlenen zu entdecken. Doch als sie die Tür aufmachte und diesen Alek Peach in seinem Bett betrachtete, dachte sie: Nein – so einen Menschen wie diesen Alek Peach habe ich noch nie gesehen … Sie hatte das Gefühl, dass dort drüben in dem Bett nur eine leere Hülle lag, eine Form ohne Inhalt. Der Mann atmete zwar, und sein Herz schlug, sein Organismus funktionierte sogar ziemlich gut – aber offenbar war jegliche Wärme aus ihm gewichen, einfach spurlos verschwunden.
Ayo überlegte, wo ihr Mitgefühl geblieben war. Als Peach ein Auge geöffnet und sie angesehen hatte, war sie instinktiv einen Schritt zurückgewichen. Der Mann machte ihr Angst. Und noch bevor er auch nur ein Wort hatte sagen können, hatte sie das Zimmer eilends wieder verlassen. Als sie jetzt durch die Station ging, beschloss sie, diesen Inspector Caffery zu fragen, was er eigentlich von Peach wissen wollte, wieso am Eingang der Station ein bewaffneter Beamter postiert war und warum er sie getäuscht hatte, um sich Zugang zu dem Privatzimmer zu verschaffen. Normalerweise ließ die Polizei den Eingang der Station nur bewachen, wenn es sich bei dem Patienten um das schutzbedürftige Opfer einer Drogenfehde handelte – oder um einen Verdächtigen.
Sie blieb stehen, drehte sich nachdenklich um und warf noch einmal einen Blick auf Peachs Zimmertür. Hinter der Glastür bewegte sich eine schemenhafte Gestalt: eine Schwester, die den Tropf wechselte. Trotzdem erstarrte Ayo. Verdammt noch mal, Ayo, du musst dich bei diesem Polizisten entschuldigen – sag ihm einfach, dass es dir Leid tut wegen heute Morgen, dass du deine Anweisungen hast, und dann solltest du ihm vielleicht noch von den verrückten Fantasien erzählen, die dich seit ein paar Stunden verfolgen.
Ja. Aber was sollte sie nur Benedicte bei deren Rückkehr erzählen? Vielleicht: Ich hab für alle Fälle mal die Polizei informiert. Sie konnte sich die Situation lebhaft vorstellen: Da kamen die Churches in ihrem verstaubten Auto erschöpft von der Reise zurück, bogen in die Einfahrt zu ihrem Grundstück ein und sahen, dass die Polizei ihre Eingangstür aufgesprengt und das halbe Anwesen mit diesem komischen Plastikband abgesperrt hatte. Ist mir wahnsinnig peinlich, das Ganze. Aber mir ist da etwas völlig Absurdes zu Ohren gekommen – nämlich, dass Rory Peach bei sich zu Hause auf irgendwelche Sachen gepinkelt hat, weißt du, genau wie Josh. Mein Gott, Benedicte, manchmal bin ich wirklich eine hysterische Kuh – tut mir echt Leid.
Sie versuchte, die Vorstellung abzuschütteln, den Kopf wieder freizubekommen: Mein Gott, Mädchen, reiß dich endlich zusammen, was soll dein Kind denn von dir denken -, aber sie konnte das Gefühl einfach nicht los werden, dass dieser Peach sie noch immer beobachtete, selbst hier draußen auf dem Gang.
Auf der Fotografie,
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