Die Behandlung: Roman (German Edition)
Atmosphäre kündete von hoher Professionalität. Caffery kam es fast so vor, als würde er die Szene durch eine Milchglasscheibe betrachten. Niemand sprach ihn an, als er so leise wie möglich durch den Mittelgang eilte. Doch als eine der Schwestern ihn mit leicht hochgezogenen Augenbrauen ansah, glaubte er das Spiel schon verloren – dachte, dass sie jeden Augenblick mit dem Finger auf ihn zeigen, ihn aufhalten und ihre Kolleginnen rufen würde. Aber sie lächelte nur und schob einen Metallständer vor sich her, an dem eine Tropfflasche baumelte.
Alek Peach lag in einem Privatzimmer mit zwei Betten. Caffery spähte durch das Fenster, trat dann ein und schloss die Tür leise hinter sich. An einem der Betten waren die Vorhänge ringsum zugezogen, in dem anderen lag Peach mit geschlossenen Augen auf dem Rücken, die Arme flach auf der Bettdecke. An seiner Brust und an seinen Armen waren Schläuche befestigt, die mit diversen Flaschen oberhalb des Bettes verbunden waren: Einige der Infusionsmittel waren klar und enthielten Medikamente, andere waren farbig und versorgten den Patienten mit Nährlösung, und aus einer der Flaschen wurde ihm Blut zugeführt. Neben dem Bett waren auf einer Konsole mehrere Monitore mit flackernden bunten Lämpchen aufgebaut: der Elektrokardiograph und der Pulsoximeter mit ihren tanzenden Kurven.
Caffery zog die Vorhänge um das Bett zu, stellte sich neben Peach, stützte sich mit beiden Fäusten auf die Matratze und beugte sich so tief hinab, bis sich sein Mund direkt neben Peachs Ohr befand. »Es ist Zeit, dass Sie mir die Wahrheit sagen, Alek.«
Peachs Augenlider fingen an zu zucken. Er bewegte den Kopf und stöhnte leise auf.
»Ist mir scheißegal, wie Sie sich fühlen, Alek, scheißegal.«
Auf einem der Monitore über dem Bett spielte die EKG-Kurve plötzlich verrückt. Caffery hörte, wie irgendwo in einem Schwesternzimmer eine Alarmglocke schrillte. Er beugte sich noch tiefer hinab, bis er fast Peachs Ohr berührte. »Falls Sie es gewesen sind und noch jemand anderer daran beteiligt war, dann sagen Sie mir, wer. Ist mir egal, ob Sie abkratzen, aber ich werde nicht zulassen, dass noch jemand zu Schaden kommt.«
Plötzlich veränderte sich Peachs Gesichtsausdruck. Er fuhr sich mit seiner weißlichen Zunge über die Lippen, zuckte zweimal mit den Augen, öffnete sie dann und richtete sie auf Caffery, der fast einen Schritt zurückgewichen wäre, so viel Wut und Gemeinheit sprachen aus dem Blick. Dann fingen Peachs Lippen an, sich zu bewegen. Seine Stimme war nur ein Wispern – so leise, dass es von den Maschinen übertönt wurde.
»Was? Sagen Sie das noch mal, Sie kleiner Scheißer.«
Eine Schwester, die durch den Alarm in der Küche aufgescheucht worden war, schob ihr schockiertes Gesicht zwischen den Vorhängen hindurch. »Sir, lassen Sie bitte unverzüglich den Patienten in Ruhe …« Irgendwo auf der Station rief jemand nach dem Sicherheitsdienst. »Sir – bitte!« Aber Peach bewegte immer noch die Lippen, und Caffery beugte sich tiefer hinab, um den Mann besser zu verstehen.
»Was? Wiederholen Sie das noch mal.«
In dem Augenblick, als die Stationsschwester aufkreuzte, als Caffery wusste, dass er rausfliegen würde, öffnete Peach noch einmal den Mund und sprach diesmal so laut, dass alle ihn verstehen konnten: »Sie können mich mal«, sagte er. »Verdammter Pisser.«
Aus dem Riss in dem Rohr traten Tröpfchen hervor, kein Rinnsal, nur winzige Wasserbläschen – bis ein richtiger Tropfen sich bilden würde, konnten noch Minuten verstreichen. Trotzdem umschloss Benedicte das Rohr mit den Lippen und saugte gierig daran. Das Tröpfchen benetzte ihre Zunge und hinterließ einen metallischen Geschmack, doch sie presste ihre aufgesprungenen Lippen mit der Inbrunst eines Säuglings gegen das Rohr und konnte mit Mühe einen weiteren Tropfen erhaschen. Sie drängte sich noch näher an den Heizkörper, umklammerte ihn mit einem Arm und saugte verzweifelt an dem Rohr. Fast zwanzig Minuten brauchte sie, um auch nur einen Fingerhut Wasser aus dem Rohr zu saugen, dann ließ sie sich erschöpft wieder zu Boden sinken. »Oh, verdammte Scheiße.«
Es dauerte eine Weile, bis sie sich wieder beruhigt hatte. Dann rief sie Smurf und versuchte, den Hund zum Trinken zu animieren, doch der Labrador wandte nur winselnd den Kopf ab. »Okay, Smurf, leg dich wieder hin.« Obwohl sie ihre Zunge nur mit einigen wenigen Tropfen Wasser benetzt hatte, fühlte Ben sich ein wenig gestärkt und war
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