Die Behandlung: Roman (German Edition)
die Jalousien zu, wobei sie nicht vergaß, unterwegs noch einmal ihr Glas nachzufüllen.
»Jack«, murmelte sie und schwankte wieder Richtung Atelier. »O Gott, Jack …«
In dem Ruhezimmer, das man direkt neben der Intensivstation des King’s Hospital für Angehörige eingerichtet hatte, fuhr Caffery mit einem Ruck aus dem Schlaf auf, als ob jemand ihn beim Namen gerufen hätte. Er blinzelte benommen zur Decke hinauf und versuchte, sich darüber klar zu werden, wo er sich befand. Am Vorabend war Souness auf der Station erschienen, und dann hatten sie sich gemeinsam diesen Dr. Friendship vorgenommen. Doch aus ärztlicher Sicht rangierte die Polizei natürlich an zweiter Stelle, und so hatte dieser Dr. Friendship sie klipp und klar mit der Antwort abgespeist: »Nein, dazu ist es noch zu früh. Schließlich geht es hier um ein Menschenleben – und was immer Sie auf dem Herzen haben muss leider warten, bis er sich wieder stabilisiert hat.«
Und so war Souness mit Paulina nach Hause gefahren, und Caffery hatte die Nacht wieder einmal außer Haus verbracht und sich zum Schlafen im Ruhezimmer auf eine Pritsche gelegt. Wenn man die verschiedenen improvisierten Schlafmöglichkeiten in dem Raum betrachtete, hätte man sich ebenso gut irgendwo auf dem Flughafen Gatwick befinden können. Mal abgesehen von den weinenden Menschen. Am Abend war eine Frau mit schweren Hirnblutungen eingeliefert worden, und ihr Mann, der das mehr oder weniger tote Gesicht seiner Frau auf dem Kopfkissen nicht mehr ertragen konnte, saß völlig versteinert ganz allein in der Ecke und starrte auf den Boden. Er schien kaum zu bemerken, dass neben ihm am Boden ein Baby im Kindersitz lag, das laut schrie und das Gesicht verzog und die kleinen Fäuste ballte und nicht im Entferntesten ahnte, dass auf der angrenzenden Station auch über seine Zukunft entschieden wurde.
Caffery richtete sich müde blinzelnd auf und rieb sich das Gesicht. Sein Nacken war steif von der unbequemen Schlafposition. Er stand auf und ging direkt zum Haupteingang der Intensivstation hinüber, strich sich unterwegs das Hemd glatt und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. Höchste Zeit, mit den Ermittlungen weiterzumachen. Der bewaffnete Beamte gewährte ihm zwar sofort Zutritt, doch die Stationsschwester, eine beängstigend groß gewachsene, hochschwangere Frau, schien wild entschlossen, dem Patienten jegliche Aufregung zu ersparen.
»Tut mir Leid, Sir, aber Dr. Friendship hat gestern Abend ja bereits mit Ihnen gesprochen. Ich habe Anweisung, dass Sie mit dem Patienten erst sprechen dürfen, wenn der Mann außer Gefahr ist. Bis dahin darf ich Sie leider nicht in das Zimmer lassen. Sie können hier bei dem Beamten warten.«
»Ach, ich bin doch selbst dabei gewesen, als Mr. Peach kollabiert ist. Dauert nur einen Augenblick.«
»Dr. Friendship rechnet auf Ihr Verständnis, Sir. Im Augenblick ist es leider unmöglich.« Sie wies mit dem Kopf auf den Beamten, der ein paar Schritte entfernt auf einem Stuhl saß. »Immerhin haben wir Ihnen schon gestattet, einen Ihrer Männer hier zu postieren.«
»Wie Sie meinen. Ich nehme an, dass es auch nichts nützt, wenn ich Sie höflichst ersuche …«
»Nein – völlig ausgeschlossen.« Sie lächelte. »Tut mir aufrichtig Leid.«
»Schon gut.« Er kratzte sich im Nacken und begutachtete die Sitzecke, in der es sich der Beamte bequem gemacht hatte. »Könnte ich denn wenigstens dort drüben warten – falls sich doch noch etwas ändern sollte?«
»Sieht ganz und gar nicht danach aus.«
»Hm. Aber vielleicht könnte ich trotzdem hier warten.«
»Ich kann Sie nicht daran hindern, aber von einer neuen Situation können wir erst ausgehen, wenn Dr. Friendship dies ausdrücklich bestätigt.«
»Okay.« Er zog die Jacke aus und nahm dem uniformierten Beamten gegenüber Platz, streckte die Beine aus und beobachtete, wie die Stationsschwester mit kleinen Schritten davontrippelte. Durch die offene Tür eines kleinen Vorratsraums sah ihn eine Schwester mit großen Augen unverwandt an. Der Uniformierte nickte Caffery zwar zu, doch die beiden sprachen kein Wort miteinander. Die Schwester kramte unterdessen in einem Karton herum und ging dann mit einem frischen Schlauch zu ihrem Patienten zurück. Kurz darauf erschien wieder die Stationsschwester und kam zu Caffery herüber. Sie lehnte sich mit verschränkten Armen an die Wand. »Und wieso ist es so dringend?«
Caffery stand halb von seinem Stuhl auf und dachte schon, dass sie ihre
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