Die Beichte - Die Beichte - Dirty Secrets
allen Menschen, die den Liebsten oder die Liebste verloren haben, erstarrte die Welt zu dunklem Glas. Das lernte sie in der Trauergruppe, nachdem Tina sie mit Gewalt hingeschleift und während der ersten Sitzung neben ihr ausgeharrt hatte.
Sie ging mit der Rettungsmannschaft zu ihrem Hauptquartier. Sie wickelten sie in eine trockene Decke, brachten ihr Kaffee und setzten sie auf einen Plastikstuhl unter Neonröhren. Auf dem Korridor liefen sie auf und ab und besprachen sich mit dem Einsatzleiter der Staffel. Sie starrte nur an die Wand. Hörte gedämpfte Stimmen. Die Frau des Verunglückten.
Triage , hörte sie. Das leise Flüstern des zweiten Rettungsspringers, der über Daniel redete.
In der strahlenden Halloween-Sonne schaute sie Gabe Quintana in die Augen. »Er hat gesagt: ›Das hätte doch sogar einem Sanitäter auffallen müssen.‹«
Gabe starrte sie einen atemlosen Moment lang an. Sie gestattete sich nicht, sich von ihm abzuwenden. Sie hatte das Gefühl, gleich in tausend Splitter zu zerspringen.
»Ich hab einen Fehler gemacht, und dieser Fehler hat ihn das Leben gekostet«, setzte sie hinzu.
Gabes Blick ruhte auf ihr. Schließlich stand er auf, ohne ihre Hand loszulassen, und führte sie über den Platz. »Du hast nichts mit Daniels Tod zu tun.«
»Wohin bringst du mich?«
»Keine Ahnung. Irgendwohin, wo du dir diese absurde Vorstellung aus dem Kopf schlagen kannst.«
Ihr Gesicht war heiß. »Ich hab ihn genau gehört, Gabe. Den zweiten Rettungsspringer, der mit dem Einsatzleiter
geredet hat. Er hat gesagt, dass Emily ein hoffnungsloser Fall war.«
Schwarzer Punkt. Und das war auch das Urteil des Gerichtsmediziners. Emily Leighs Gesundheit war angeschlagen, ihr Zustand kritisch, und die Verletzungen, die sie durch den Absturz des Hubschraubers erlitten hatte, waren unheilbar. Jo hätte sie nicht retten können.
Doch Daniel war kein hoffnungsloser Fall gewesen. Er war schwer verletzt, aber schnelles Handeln hätte ihm das Leben retten können. Er hatte innere Blutungen, einen Lungenkollaps und eine Herzbeuteltamponade. Der Herzbeutel war durch den Absturz beschädigt worden, und das einsickernde Blut hinderte das Herz am Schlagen, bis schließlich der Tod eintrat.
Gabe führte sie weg vom Platz. »Der Brief wurde dir zu Hause zugestellt?«
»Über die Universität. Sie haben ihn an mein Büro geschickt, und von dort wurde er weitergeleitet. Also wissen sie vielleicht nicht, wo ich wohne.«
»Gut.« Seine Hand war heiß. »Mit wem musst du sprechen?«
»Über die Nachricht?« Sie versuchte nachzudenken, doch ihr Geist verharrte immer noch bei dem Moment, in dem sie so katastrophal versagt hatte, dass ihr Leben, ihre Pläne und ihr Verständnis von sich selbst und ihrer Rolle in der Welt zusammenbrachen wie ein Kartenhaus.
»O Mann.« Gabe starrte geradeaus. »Und das schleppst du seit zwei Jahren mit dir rum?«
Sie gab ihm keine Antwort. Sie hatte das Gefühl, gar nicht artikuliert reden zu können. Eigentlich hatte sie geglaubt,
aus dem Gröbsten heraus zu sein. Mithilfe ihrer Familie, ihrer Freunde und der Trauergruppe hatte sie sich zurück ans Tageslicht gekämpft. Deshalb hatte sie später auch die Leitung des Kurses übernommen - um etwas zurückzugeben. Sie hatte gedacht, das Dunkel hinter sich gelassen zu haben.
Und jetzt das.
»Ist das der Grund, warum du die Notfallmedizin völlig aufgegeben und dich auf die forensische Arbeit verlegt hast?«
»Ja.« Es machte sie wütend, dass er sie nicht verstand. »Erstens, niemandem Schaden zufügen.«
Ein ferner Ausdruck trat in seine Augen. Noch immer zog er sie an der Hand weiter. »Du hast dich hinter dem hippokratischen Eid verschanzt?«
»Nicht verschanzt. Dieses Gelöbnis legt jeder Arzt ab, es ist für alle Mediziner bindend. Helfen, aber kein Menschenleben gefährden. Das ist meine Richtschnur.«
»Du hast dich also von den Lebenden abgeschottet?«
»Billige Bemerkung, Quintana.« Sie konnte nicht erkennen, ob er wütend oder gekränkt war. Sie wusste nicht einmal, ob sie selbst eher wütend oder gekränkt war.
Von den Lebenden abgeschottet? Er hatte nichts kapiert. Jedes Mal wenn sie ihn ansah, hörte sie ein Echo widerhallen. Sie hörte ihn sagen, dass Daniel tot war.
»Aber das hast du nicht verdient.« Mit einem Ruck blieb er stehen. In seinen Augen schwelte Zorn. Er legte ihr die Hände an die Wangen. »Hast du verstanden?«
Der Puls rauschte ihr in den Ohren. Hey, Mutt. Das Lächeln in Daniels Stimme.
Reiß dich
Weitere Kostenlose Bücher