Die beiden Nachtwächter
sich!“
II.
E s war am Abende desselben Tages. Die Uhr an der Wand
zeigte einige Minuten vor zehn Uhr; draußen wehte kein
Lüftchen durch die Nacht, aber der Schnee fiel so dicht,
daß es nicht möglich war, auch nur auf einige Schritte Ent-
fernung hin den Flockenschleier zu durchdringen.
Bachmann hüllte sich in seinen Pelz, setzte die Pfeife
mit dem großen Meerschaumkopfe in Brand, fuhr mit den
beiden Händen in die dicken Fausthandschuhe und griff
sodann nach Spieß und Horn.
„Gute Nacht, Mutter! Lege Dich ruhig nieder, aber laß
mir das Mädel nicht zu lange draußen in der Kälte stehen,
wenn sie vom Balle kommt.“
„Keine Sorge, Alter; werde es schon hören, wenn sie
klopft! Aber willst Du Dir denn nicht ein Stückchen Ku-
chen mitnehmen? Ich weiß, Dir geht nichts über den Ku-
chen, und bis früh vier Uhr ists eine gar lange Zeit; da
kann man schon hungrig werden.“
„Danke! Spare Deine guten Sachen; ich weiß mir schon
zu holen, was ich brauche. Gute Nacht!“
„Gute Nacht!“ antwortete sie und begleitete ihn hinaus,
um die Thür von innen zu verriegeln. Aber, in die Stube
zurückgekehrt, machte sie nicht etwa Anstalt, sich schlafen
zu legen; vielmehr schob sie einige Schaufeln Kohlen in
den Ofen, griff zu dem Strickstrumpfe, und ließ bald durch
das geschäftige Klimpern der Nadeln vermuthen, daß sie
das vorhin erwähnte Klopfen wohl schwerlich überhören
werde.
Unterdessen schritt Bachmann die Gasse entlang und
setzte, als jetzt der zehnte Stundenschlag vom Kirchthurme
erklang, das Horn an den Mund, um seinen musikalischen
Verpflichtungen nachzukommen.
„Dut — Hat Zehn geschlagen — Lobt Gott den Herrn!“
klang es durch die stille, weißgefärbte Nacht; dann setzte er
seinen Weg weiter fort. Hier auf dem äußersten Punkte der
Stadt war er nicht gewillt, seine Perlen vor die Schweine zu
werfen; darum machte er es so kurz wie möglich. Der Ort
dehnte sich lang hin, und man hatte grad so zu thun, um
in drei Viertelstunden von einem Endpunkte zum andern
zu kommen, zumal es für einen Nachtwächter doch fast
immer Störungen giebt, die ihn aufhalten.
„Dut — Hat Zehn geschlagen — Lobt Gott den Herrn!“
tönte es an der Ecke der nächsten Gasse. Er zog den Kra-
gen in die Höhe, stopfte den Tabak in der Pfeife nieder und
setzte seinen Weg rasch wieder fort. Bei der nächsten Ecke
trat er an einen Fensterladen, blickte durch eine Ritze hin-
ein in das hellerleuchtete Zimmer und nickte beifällig mit
dem Kopfe.
„Das paßt! Da sitzt die ganze junge Gesellschaft um
den Tisch, trinkt Grog und beißt Kuchen dazu. Sapperlot!
Ist das nicht Apfelkuchen? Den hat meine Alte heuer
nicht. Warte, ich werde Euch ’mal so einen kleinen Wink
geben!“
„Du — u — u — ut!“ Diesmal schonte er den Athem
weniger als bisher; dann räusperte er sich ein wenig und
sang:
„Hört, Ihr Herrn und laßt Euch sagen:
Die Glocke, die hat zehn geschlagen.
Bewahrt das Feuer und das Licht,
Daß der Stadt kein Schad’ geschicht.
Und lobet Gott den Herrn,
Apfelkuchen eß ich gern!“
Drin in der Stube erscholl ein lustiges Lachen und mit ge-
wichtigem Nachdrucke wiederholte er:
„Und lobet Gott den Herrn;
Apfelkuchen eß ich gern!“
Auf diese sehr deutliche Demonstration antwortete von in-
nen ein sehr vernehmliches Klopfen an den Laden.
„Gut; sollst ein Stück haben und auch ein Paar gute
Schlucke dazu, aber einen neuen Vers mußt Du noch singen,
und gut muß er sein!“
Ohne lange Verhandlung folgte der Angeredete dem
Wunsche:
„Und wer vielleicht in finstrer Nacht
Mit seinem Mädel B’stellmich macht,
Der trolle sich von seinem Schatz
Und geb ihr nun den letzten Schmatz.
Das lange Liebeln thut nicht gut,
Im Bette sichs am Schönsten ruht,
Und treff ich so ’nen Freiersmann,
Den leucht ich mit der Laterne an!“
Der so schnell inprovisirte Knüttelvers schien das Wohlge-
fallen der Zuhörerschaft erlangt zu haben, denn bald öff-
nete sich die Hausthür und eine Stimme rief:
„Na, komm ’rein, alter Bänkelsänger; wirst ein Gläschen
vertragen können bei dem Wetter heut!“
Bachmann schüttelte den Schnee von sich und trat in
die Stube. Hier wurde seinem dichterischen Talente die
lebhafteste Bewunderung gezollt; er bekam den wohlver-
dienten Kuchen, und man trank ihm von allen Seiten so
fleißig zu, daß es ihm schließlich Angst wurde und er die
Flucht ergreifen mußte.
„Verteufeltes Volk!“ brummte
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