Die beiden Seiten der Münze (German Edition)
Anflug von Traurigkeit sagte sie sich, dass es ohnehin egal wäre. Für wen sollte sie die Wohnung schöner machen? Cedric war nicht ihre Zukunft, soviel war sicher. Auch wenn sie das insgeheim vielleicht gehofft hatte aber schon alleine die Tatsache, dass sie ihm so schlimme Dinge zutraute, ließ diesen Gedanken absurd erscheinen.
Und sonst? Ab und zu mal ein Besuch, aber Therese oder Alex war es egal wie es bei ihr aussah. Wozu also überhaupt der Aufwand, das lohnte sich gar nicht. Lynn versank wieder einmal im Selbstmitleid, das tat sie meistens, wenn ihr etwas zu viel war und die momentane Situation überforderte sie sehr.
Während ihr die Tränen über die Wangen liefen, überdachte sie ihr Verhältnis zu Cedric. Eigentlich sollte ihr die Entscheidung zwischen ihrer besten Freundin und einem fast wildfremden Menschen recht leicht fallen. Vor allem, wenn die Sicherheit von Therese und Lukas auf dem Spiel stand. Und dennoch war sie anscheinend egoistisch genug gewesen, um heute nicht die Polizei zu informieren. Sie empfand es fast so als ob Therese ihr ein Spielzeug nicht gönnte, es ihr wegnehmen wollte.
War sie denn jetzt völlig verrückt geworden? Sie fühlte fast eine Art von Wut auf Therese, nicht auf Cedric. Das war krank.
Lynn beschloss , dass das ein Ende haben musste. Das hatte Therese nicht verdient. Sie würde gleich morgen in der Mittagspause Inspektor Vanek aufsuchen und ihm von ihrem Verdacht erzählen. Dann würde sie ihre Freundin anrufen und alles wäre wieder wie bisher.
Dann fiel ihr ein, was Dr. Wögerer am Vortag gesagt hatte. Vielleicht war jetzt der beste Moment, um gleich mit mehreren Dingen aufzuräumen und reinen Tisch zu machen. Lynn rief ihre Mutter an: „Hi Mom.“ Ihre Mutter klang erstaunt: „Hallo Lynn, ist etwas passiert? Du rufst sonst nie um diese Uhrzeit an.“ Lynn fragte: „Wann hast du Zeit? Kann ich morgen zu dir kommen? Ich muss mit dir reden.“ Ihre Mutter wirkte auf einmal vorsichtig: „Reden? Worüber?“
„Das besprechen wir morgen. Bist du am Abend zuhause?“ Sie vereinbarten, dass Lynn nach der Arbeit vorbeischauen würde.
Nachdem sie sich zu einem Ausflug in die eigene Vergangenheit durchgerungen hatte, legte sie sich ins Bett. Sie war sehr müde und wollte nur noch schlafen. Lynn hatte ein wenig Angst, dass die Albträume wieder kommen würden aber diese Nacht schlief sie völlig ruhig.
Erfrischt wachte sie am nächsten Morgen auf. Sie verdrängte jeden Gedanken an Cedric und wusste was sie zu tun hatte. Im besten Fall war ohnehin alles ein Irrtum.
Und doch tat sie es wieder nicht. Sie redete sich ein, dass sie jetzt nicht an Therese denken konnte weil sie sich auf die Arbeit konzentrieren musste. Selbstbetrug funktionierte zwar nicht lange, war aber für einen gewissen Zeitraum recht effektiv.
Angestrengt starrte Lynn den ganzen Tag auf ihren Bildschirm und versuchte, alles andere auszublenden. Gegen Abend begannen die Zahlen vor ihren Augen zu verschwimmen. Hunderte von Zahlenreihen schienen sich wie hungrige Würmer zu winden. Lynn schüttelte sich. Heute ging nichts mehr, sie war erschöpft. Vorsichtshalber prüfte sie noch einmal die Salden diverser Konten bevor sie ging.
Zuerst wollte sie mit ihrer Mutter sprechen, danach würde es ein ruhiger Fernsehabend werden. Lynn würde alle Konflikte und Probleme aussperren.
Lynn betrat das Gebäude, in dem sie aufgewachsen war, wie immer mit einem leichten Unbehagen. Im Stiegenhaus roch es nach Kohl und frittiertem Fett, ihr wurde von dem Geruch etwas übel. Sie stieg die Treppen hinauf und erreichte schließlich den vierten Stock. Es gab keinen Aufzug, sie konnte sich gut daran erinnern, wie sie als Kind jeden Tag mit der schweren Schultasche die vier Stockwerke hinaufgelaufen war.
Ihre Mutter erwartete sie schon an der Tür. „Komm rein“ murmelte sie leise. Lynn merkte, dass ihre Mutter aus irgendeinem Grund ziemlich nervös wirkte. Sie erfuhr schnell was der Grund dafür war. „Ich habe das von Martin gehört. Das ist einfach schrecklich. Ich kann es noch gar nicht glauben.“ Lynn nickte nur. „Warum hast du mir nichts davon erzählt? Du hast es doch gewusst?“ Das klang anklagend. „Ich musste es von meiner Nachbarin hören. Sie kennt jemanden aus Martin's Firma und weiß, dass du früher mit ihm verheiratet warst.“ Der Tonfall ihrer Mutter wurde immer weinerlicher.
Lynn hatte den Verdacht, dass ihre Mutter weniger von dem Mord als
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