Die beiden Seiten der Münze (German Edition)
dieses Mal ist es ernster. Man hat deine Buchungen nachgerechnet und hat bemerkt, dass du einige Zahlendreher gemacht hast. Du kannst dir ja vorstellen, was das heißt. Dadurch stimmt natürlich die ganze Buchhaltung nicht. Ich kann nicht verstehen, wieso dir das nicht aufgefallen ist. Die Konten können unmöglich gestimmt haben!“
Lynn schluckte. Das war wirklich ernst. „Um welchen Kunden geht es?“ Sven antwortete: „ISM – die Stahlproduktion. Die Firma zählt schon seit vielen Jahren zu unseren Klienten und bisher waren sie immer mit unserer Arbeit zufrieden. Aber seitdem du das übernommen hast, nicht mehr.“
Sie senkte den Kopf. Dazu gab es eigentlich nichts zu sagen, sie hatte es wirklich verbockt. „Tut mir leid, ich weiß nicht wie das passieren konnte. Ich kann jetzt eigentlich nichts machen, außer dir zu versprechen, dass ich versuchen werde, in Zukunft genauer zu arbeiten.“
Sven sah sie an: „Dieses Mal kommst du noch mit einer offiziellen Verwarnung davon. Aber ich warne dich. Falls so etwas noch einmal passiert, kannst du Deine Sachen packen. Ist das klar?“
Lynn nickte: „Klar“ Sven wedelte mit der Hand zum Zeichen, dass das Gespräch beendet war. Sie drehte sich um und verließ das Zimmer.
Gabriela kam auf sie zu und war offensichtlich neugierig: „Was war denn los? Sven sieht ziemlich sauer aus.“ Lynn war nicht in der Stimmung, ihrer Kollegin von dem Gespräch mit Sven zu erzählen, murmelte knapp: „Gar nichts.“ und verschwand in ihrem Büro.
Verdammt, wieso konnte sie sich nicht konzentrieren? Sie versuchte, ihren Geist auf eine bestimmte Arbeit zu fokussieren und hatte dabei oft das Gefühl als ob die Gedanken wie ein Schwarm Schmetterlinge ausschwärmten und sich in alle Windrichtungen verstreuten. Es schien so, als wären sie nicht festzuhalten, geschweige denn zurückzuholen.
Lynn hatte aus diesem Grund vor vielen Jahren eine Zeitlang einen Kurs besucht. Man hatte ihr zu autogenem Training geraten, das sollte angeblich helfen, die Gedanken bei einer bestimmten Sache halten zu können.
Sie hatte keinerlei Probleme damit gehabt, sich einzureden, dass ihre Arme warm und ihre Beine schwer waren. Sie konnte sich in ihrer Vorstellung auf ein schaukelndes Boot begeben und eine leichte Sommerbrise auf ihrer Stirn fühlen. Diese Übungen sollten die Konzentration fördern, hatten jedoch bei Lynn überhaupt keinen Erfolg. Anfangs besprach sie das noch mit der Kursgruppe, als jedoch immer mehr Teilnehmer über Erfolge in ihrem Leben berichteten, kam sie sich als Versager vor und log. Sie behauptete, ebenfalls in ihrem täglichen Leben vom autogenen Training zu profitieren und verließ nach einiger Zeit den Kurs.
Seitdem hatte sie nichts gefunden, dass ihr bei der Konzentration geholfen hätte.
Nach Dienstschluss versuchte sie abermals, Therese zu erreichen aber wieder ohne Erfolg. Lynn wunderte sich, normalerweise hob ihre Freundin immer ab, Tag und Nacht.
Lynn fuhr nach Hause. Unterwegs fiel ihr ein, dass sie sich endlich einmal um ihre eigenen Finanzen kümmern sollte. So genau sie versuchte in der Arbeit zu sein, so schlampig war sie, wenn es um ihre privaten Angelegenheiten ging. In ihrer Wohnung setzte sich Lynn auf die Couch, drehte ihr Notebook auf und gab ihre Online Banking Daten ein. Verdammt, ihr Konto war ziemlich im Minus. Lynn überlegte, was sie letzten Monat so eingekauft hatte. Dann erinnerte sie sich an die hohe Rechnung ihres Anwalts und die Jahresabrechnung für Strom. Diese beiden Posten waren sehr hoch gewesen und hatten ihr Konto über Gebühr in die roten Zahlen getrieben.
Das fehlte noch, Lynn musste den Rest des Monats extrem haushalten, sonst würde sie bald nichts mehr abheben können. Sie überlegte kurz, ob sie ihre Mutter um ein kleines Darlehen bitten sollte, verwarf den Gedanken aber bald wieder. Das würde sie sich sonst jahrelang vorwerfen lassen müssen.
Lynn benötigte über zwei Stunden, um ihren Papierkram in Ordnung zu bringen. Sie sortierte nach „muss gleich bezahlt werden“, „muss bald bezahlt werden“ und „muss leider warten“. Doch leider war der gleich zu bezahlende Stapel noch immer zu viel. Da konnte man nichts machen, sie würde auf die nächsten Mahnungen warten müssen.
Lynn sah sich in ihrer Wohnung um. Eigentlich hatte sie in nächster Zeit einige Renovierungsarbeiten in Angriff nehmen wollen. Daran war nun aus Kostengründen nicht zu denken. In einem
Weitere Kostenlose Bücher