Die Bekenntnisse der Sullivan-Schwestern
ich erzähle und was nicht, Mussolini.«
Ich drückte sie gegen die Wand und sagte in drohendem Tonfall: »Ich bin deine Schwester. Wenn dir an meinem Glück und Wohlbefinden gelegen ist, wirst du in deinem Blog nicht über meine privaten Angelegenheiten schreiben.«
»Verstanden«, sagte Jane. »Es sei denn, es wird eine öffentliche Angelegenheit daraus. Dann liegt es nicht mehr in meiner Hand.«
»Sorg dafür, dass es keine öffentliche Angelegenheit wird«, zischte ich zwischen zusammengepressten Zähnen hervor.
»Aye, aye, Käpt’n.«
»Sieh es einfach so, Jane«, mischte sich Sassy ein. »Wenn du Norries Geheimnisse ausplauderst, wird sie dir nichts mehr anvertrauen. Wie fändest du das?«
Sie versuchte, es zu verbergen, aber ich sah einen Anflug von Entsetzen über Janes Gesicht huschen. Sie hasst es, außen vor zu sein. Ich lächelte Sassy dankbar an. Manchmal sagt sie genau das Richtige.
Elf
Als ich am Montagmorgen in die Schule kam, spürte ich sofort, dass sich etwas verändert hatte. Die Mädchen begrüßten mich zwar wie sonst, aber es wirkte zögerlich, als wollten sie Abstand bewahren. Sie musterten mich mit Neugier oder Verachtung – bisher hatte sich noch nie jemand mir gegenüber neugierig oder verächtlich gezeigt. Worauf sollte man auch neugierig sein? Ich war ein Mädchen wie sie, sogar weniger interessant als sie, denn ich hatte nie Ärger und schien immer auf dem richtigen Pfad zu sein: auf dem langweiligen Pfad.
Doch offenbar wussten alle Bescheid, die Sache mit Carmens Party musste sich irgendwie herumgesprochen haben. Ich konnte es fühlen. Für sie war ich plötzlich eine andere Person. Eine Außenseiterin. Ich war Shea.
Vor meinem Spind traf ich Claire und sie bestätigte meinen Verdacht.
»Norrie – ehrlich? Du warst mit Shea und zwei Typen Mitte zwanzig auf einer Party? Warum das?«
»Woher wissen das alle?«
»Caitlin hat es rumerzählt, glaub ich. Bestimmt ist sie eifersüchtig auf Shea.«
Mir war schleierhaft, wie jemand auf Shea eifersüchtig sein konnte.
»Warum hast du mir nichts davon erzählt?«, fragte Claire.
Da ich Jane und Sassy hatte, brauchte ich Claire nichts davon zu erzählen. Und dann war da noch Brooks … Claire würde es nicht verstehen. Außerdem hatte ich den Caitlin-Effekt gefürchtet: dass Claire tratschen würde und alle einen völlig falschen Eindruck bekämen.
»Keine Ahnung«, erwiderte ich. »Es war komisch. Das Mädchen, bei dem die Party stattfand, entpuppte sich als Robbies Ex und ich denke, sie will immer noch etwas von ihm oder ist sauer auf ihn oder irgendwas. Dann hat Shea in ihr Bett gekotzt und das hat es auch nicht besser gemacht –«
»Bist du jetzt mit Shea befreundet oder so?«, wollte Claire wissen. »Denn das behaupten alle. Dass ihr beide zu Partys in der Stadt geht und dort ältere Typen anbaggert.«
» Das denken alle?« Oh, nein. Wie konnten meine Klassenkameradinnen so blitzartig ihre Meinung über mich ändern? »Das ist doch verrückt. Ich war auf einer Party und zufälligerweise ist Shea aufgekreuzt. So was kommt doch ständig vor, oder?« Diese Stadt ist ein großes Spinnennetz, das einen, egal, wohin man geht, irgendwann einfängt. So kommt es mir jedenfalls vor.
»Ich muss diesen Robbie kennenlernen«, sagte Claire. »Ich verstehe einfach nicht, wie du jemand anderen mögen kannst, wo du doch Brooks haben könntest. Aber das ist ja bloß meine bescheidene Meinung.« Ich wusste, dass sie das sagen würde. Sie steht auf Deiner Seite, Almighty.
Wie sollte ich es ihr erklären? Ich mochte Brooks, aber ich wurde das Gefühl nicht los, dass seine Aufmerksamkeiten mir gegenüber bloß aus Nettigkeit geschahen, dass er nur seine Rolle spielte, seine Familienpflicht erfüllte und seine Großmutter glücklich machte, indem er Prinz und Prinzessin mit mir spielte.
Robbie hat alles verändert. Selbst wenn ich wollte, könnte ich mich nicht mehr in die alte Schneekugel zurückquetschen, in der mich jeder haben will. Das Glas ist längst zerborsten.
Zwölf
Und jetzt, Almighty, werde ich einen Teil der Geschichte aufschreiben, den ich Dir nie erzählen wollte. Ich fühle mich dabei sehr unwohl in meiner Haut. Es ist mir nicht peinlich, ich fühle mich nur unbehaglich. Aber ich habe gelobt, Dir alles zu erzählen, und dieser Teil ist wichtig.
Wenn Du vielleicht vergessen könntest, dass ich Deine Enkeltochter bin, und wenn Du versuchen würdest, mich als eine Dir unbekannte Person zu sehen oder als Figur in einem
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