Die Bekenntnisse der Sullivan-Schwestern
dir reden, das schwör ich dir.«
Ich versprach ihr weder das eine noch das andere. Eine Verfechterin der Wahrheit kann diese Art Versprechen nicht geben.
Sieben
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Wie man seine Therapeutin in den Selbstmord treibt
Spaßeshalber könnten wir heute zur Abwechslung mal über ein anderes Mitglied meiner Familie reden. Wie wäre es mit ... oh ... hmm ... meiner Mutter?
Meine Mutter, Virginia Wells Sullivan. Wir nennen sie Ginger, weil sie es hasst, »Mom« genannt zu werden. Ihrer Meinung nach altert eine Frau durch das bloße Hören dieses Worts um zwanzig Jahre. Und es ist nicht besonders chic. Also nennen wir sie Ginger.
Ginger hat jede Menge Geheimnisse, die ich ausplaudern könnte – nur ein Beispiel: Wusstet ihr, dass sie eine Gesichtscreme mit Kaninchenpipi benutzt, damit ihre Haut glatt bleibt?
So sieht ein typischer Ginger-Tag aus:
7:30 Uhr: Schlafmaske anheben und ein Auge öffnen, um sich zu vergewissern, dass Miss Maura Daddy-o und die Kinder für Schule und Arbeit fertig macht. Feststellen, dass alles planmäßig läuft. Dann wieder einschlafen.
10:00 Uhr: Aufwachen, wenn Miss Maura Kaffee, Toast, Grapefruit und die Zeitung ans Bett bringt. Aber keine Zeit zum Herumtrödeln! Duschen ist angesagt und sich fertig machen, um Casey Stewart zum Mittagessen im Petit Louis zu treffen.
12:30 Uhr: Mittagessen und Klatsch mit Casey, gefolgt von Einkäufen bei Cross Keys oder Nordstrom oder einem Friseur-/Maniküre-/Wellness-/Kosmetiktermin.
15:00 Uhr (falls Mittwoch ist): Lästige Unterbrechung eines absolut angenehmen Tages für eine Therapiesitzung bei Dr. Melanie Viorst. Darüber reden, wie enttäuschend Kinder sind. Egal, welche Mühe man sich gibt, ihnen eine ordentliche Erziehung angedeihen zu lassen, sie reden immer noch, als wären sie im Slum groß geworden. Sie benutzen die abstoßendsten Wörter – »Arsch«, »Pimmel«, »Popel« und so weiter –, nur um ihre Mutter zur Weißglut zu treiben. Dann Dr. Viorst bitten, nicht weiter nachzubohren, warum einen diese Worte so verstören. Begreift sie denn nicht, dass es eine Frage des guten Geschmacks ist? Wenn man schon beim Thema Geschmack ist, noch einmal die Angst vor Mayonnaise diskutieren – es ist eine ekelhafte Pampe, was in aller Welt
ist
Mayonnaise überhaupt – und wie unmöglich es ist, Mayonnaise zu entgehen, wenn man von WASPs (weißen angelsächsischen Protestanten) und extrem WASPigen Katholiken umgeben ist. In allem ist Mayonnaise, man entkommt ihr nicht, es ist so widerlich ... Was glaubt Dr. Viorst, wie man es schafft, so spindeldürr zu bleiben? Schließlich kann man so gut wie nichts essen, wenn man Mayonnaise hasst.
Schicklich weinen, damit Dr. Viorst sehen kann, dass man trotz des schönen Scheins tief in der Seele verletzt ist.
16:30 Uhr: Zu Hause. Schneller Cocktail, während man die Kinder begrüßt und sich erkundigt, wie es in der Schule gelaufen ist. Was immer die Kinder sagen (selbst wenn die Antwort lautet: »Ich wurde wegen Gotteslästerung suspendiert«), »Toll!« erwidern.
18:00 Uhr: Daddy-o kommt von der Arbeit. Noch mehr Cocktails und Umziehen fürs Abendessen.
19:30 Uhr: Ausgehen
Sicher könnt ihr euch vorstellen, dass ein Psychiater, wenn er dieses frivole Leben in einer Therapie diskutiert und deswegen auch noch GEHEULT wird, leicht zum Trinken verleitet werden kann. Oder zu noch Schlimmerem.
Eines Mittwochs erschien Ginger pünktlich um 15:00 zu ihrem üblichen Termin mit Dr. Viorst im North Baltimore Professional Center. Sie setzte sich in den Warteraum und schlug den
New Yorker
auf. Sie starrte auf die geschlossene Tür von Dr. Viorsts Büro. Dr. Viorst kam nicht heraus. Das war seltsam. Nach einer Stunde klopfte Ginger an die Tür. Keine Antwort. Sie versuchte sie zu öffnen. Sie war abgeschlossen. Ginger zuckte die Achseln und fuhr nach Hause.
An diesem Abend erhielt Ginger einen Anruf von einem Unbekannten, der ihr mitteilte, Dr. Viorst könne sie nicht mehr behandeln. Als Ginger sich nach dem Grund erkundigte, erklärte der Anrufer, Dr. Viorst habe sich umgebracht. »Wie entsetzlich«, sagte Ginger zu dem Anrufer.
Ginger legte auf und verkündete ihrer Familie, die beim Abendessen saß, sie habe immer gewusst, dass Dr. Viorst verrückt sei – sogar verrückter als sie selbst –, und welche Erlösung es sei, dass sie sich keine Probleme mehr ausdenken müsse, die sie ihrer Therapeutin jede Woche erzählen könne, um anschließend zu heulen. Da die
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