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Die Bekenntnisse der Sullivan-Schwestern

Die Bekenntnisse der Sullivan-Schwestern

Titel: Die Bekenntnisse der Sullivan-Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natalie Standiford
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alles, und dieses Wertesystem ist in unsere kleine Provinzstadt durchgesickert. Und was ist schon Familie? Die sogenannten »alteingesessenen Familien« sind an diesem Punkt bereits ziemlich verwässert. Die Gesellschaft ist wesentlich durchlässiger und in einigen Punkten demokratischer geworden.
    Nicht so der Cotillon. Er klammert sich, solange er kann, an die alten Traditionen.
    Warum schert sich überhaupt jemand darum? Mehr als genug Leute tun es nicht. Aber ich weiß, warum es für Almighty wichtig ist. Zumindest kenne ich einen Grund: Dinge wie den Cotillon kann sie einsetzen, um Druck auf Leute auszuüben. Und die Person, auf die sie es am meisten abgesehen hat? Das ist Mamie Overbeck.
    Meine Theorie lautet: Almighty hat Mamie noch immer nicht verziehen, dass sie ihr 1947 Junius ausgespannt hat. Sie hat diesen Groll über all die Jahre gehegt, gepflegt und ihm beim Wachsen zugesehen ... Und als sie ihre Enkeltochter, Norrie, und Mamies Enkelsohn, Brooks, als Kinder zusammen spielen sah, kam ihr eine Idee.
    Wenn ihr
Große Erwartungen
von Charles Dickens gelesen oder eine der Filmversionen gesehen habt, erinnert ihr euch vielleicht an Miss Havisham. Als junge Frau wurde sie vor dem Altar sitzengelassen und seitdem hasst sie Männer. Sie adoptiert ein schönes Mädchen namens Estella und erzieht sie zur Kaltherzigkeit. Dann lädt sie als Experiment einen armen Jungen namens Pip ein, mit Estella zu spielen. Miss Havisham weiß, dass Pip sich in Estella verlieben und sie ihm das Herz brechen wird. Und so ziemlich genau das tritt ein. Miss Havisham machte Estella also zu ihrem Instrument, um Rache an den Männern zu nehmen.
    Ich glaube, Almighty zieht diese Miss-Havisham-Nummer durch – und benutzt Norrie. Sie weiß, dass Brooks Norrie mag, und sie zwingt die beiden, gemeinsam zum Cotillon zu gehen – die Bühne, auf der Almighty einst gedemütigt wurde. Aber sie weiß auch – jeder weiß das –, dass Norrie in jemand anderen verliebt ist. Es ist also absehbar, dass sie Brooks das Herz brechen wird. Und trotzdem besteht Almighty darauf, dass die beiden gemeinsam zum Cotillon gehen.
    Mamie liebt ihren Enkelsohn und möchte nicht, dass er verletzt wird. Doch Almighty kann Brooks verletzen, indem sie Norrie benutzt, und dadurch Mamie treffen. Es ist teuflisch.
    So weit meine Theorie.
    Komm schon, gib’s zu, Almighty. Meine Vermutung ist richtig, oder?
    Vielleicht hast Du es nicht mitbekommen, aber Norrie, Sassy und ich haben oben an der Treppe gelauscht, als Du Ginger und Daddy-o wegen des Artikels in der Sun zur Schnecke gemacht hast. Wir haben alles gehört. Du hast vor Wut geschäumt. Ist Dir bewusst, dass Dir manchmal, wenn Du wütend bist, die Missbilligung mit Lippenstift ins Gesicht geschrieben steht? Na ja, wir haben einen Namen dafür: Mr Pfui. Und an diesem Tag hast Du mal wieder stolz Mr Pfui zur Schau getragen.
    Ich rekapituliere die Szene noch mal für Dich, falls es Dich interessiert, wie sie auf mich gewirkt hat. Manchmal frage ich mich, ob Du überhaupt weißt, wie furchterregend Du sein kannst, Almighty.
    »Es ist eure Schuld«, hast Du gebrüllt. »Ihr seid schreckliche Eltern! Ihr seid nicht mal Eltern – ihr seid bessere Babysitter!«
    »Es ist wie immer wunderbar, dich zu sehen, Almighty«, erwiderte Ginger.
    Wie gewöhnlich hattest Du Buffalo Bill dabei, der am Fuß der Treppe herumschnüffelte.
    »Ihr habt eine gottlose Unruhestifterin großgezogen! Zumindest von einer weiß ich das jedenfalls. Ich habe mich noch nie von einem Mitglied meiner eigenen Familie so betrogen gefühlt. Alphonse, was hast du dazu vorzubringen?«
    Ich konnte das Achselzucken in Daddy-os Stimme hören. »Es tut mir leid, Mutter, aber Jane ist alt genug, um ihre eigene Meinung zu vertreten. Was sollen wir dagegen tun?«
    »Jede Menge! Sie ins Internat stecken, zum Beispiel. Eine richtig strenge Klosterschule, weit weg, vielleicht in der Schweiz. Da werden sie ihr Disziplin beibringen, wenn ihr dazu nicht in der Lage seid, und dann wird sie hier in der Stadt keine niederträchtigen Lügen über ihre Großmutter in der Zeitung veröffentlichen.«
    »Kein Mensch liest mehr die Zeitung«, sagte Ginger. »Wenn wir es ignorieren, hört das alles von selbst auf.«
    »Das ist genau die nachsichtige Einstellung, die uns überhaupt in diese Lage gebracht hat. Die eine Tochter treibt sich mit irgendeinem erwachsenen Mann aus New York herum, die andere ist wild entschlossen, die ganze Familie zu zerstören, und wer

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